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Rainer Roth

Bedingungsloses Grundeinkommen als Menschenrecht

Ich halte das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) bekanntlich  für illusionär. (Rainer Roth, Zur Kritik des Bedingungslosen Grundeinkommens, Frankfurt 2006) Deshalb haben mich einige Protagonisten des BGE wütend beschuldigt, ich würde auf die "Selbstregulierungskräfte des Kapitals" setzen, die "Lohnarbeit verteidigen" und einen "eisernen Willen zum Kampf gegen die Überwindung des Kapitalismus" haben. (Armin Kammrad)

Angeblich hat für mich nur "Lohnarbeit gesellschaftliche Relevanz, die Werte schafft". Das wäre "Idealisierung der Lohnarbeit". (Harald Rein) Mir würde kein anderer "Anreiz" zum Arbeiten einfallen, als Zwang, den ich "in Ewigkeit. Amen" fortsetzen wollte. Ich wäre der "Winkeladvokat der Arbeit", würde die Lohnarbeit "verklären", die Arbeit fetischisieren usw.. (Andreas Schmidt; alle Zitate aus Quellen von www.labournet.de >Diskussion >Arbeit >Existenzgeld >Linkskritik)

Im Folgenden schauen wir uns genauer an, wer die Lohnarbeit und damit auch seinen siamesischen Zwilling, das Kapital, wirklich verteidigt.

Dass der individuelle Ausstieg aus der Lohnarbeit mit Hilfe des BGE das Weiterbestehen der Lohnarbeit insgesamt voraussetzt, soll hier nicht wiederholt werden. (Roth 2006, a.a.0)

Die Verteidigung der Lohnarbeit steckt indirekt aber auch darin, dass das BGE für ein "universelles soziales Menschenrecht" gehalten wird. So die Grundsatzerklärung des Netzwerks Grundeinkommen mit seinen zahlreichen Mitgliedern. Das Menschenrecht auf ein Grundeinkommen wird vom Netzwerk Grundeinkommen als "zentrale Alternative" zu Armut und Lohnabhängigkeit bezeichnet. "Ein Grundeinkommen ermöglicht den Menschen ein von Existenznot, staatlicher Bevormundung und ökonomischer Abhängigkeit freies Leben." (Politische Erklärung des SprecherInnenkreises des Netzwerks Grundeinkommen vom 16.12.2005)

Aber allein mit der Berufung auf Menschenrechte erweist sich diese Proklamation als frommer Wunsch, weil mit den Menschenrechten genau die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse verteidigt werden, die Existenznot, staatliche Bevormundung und ökonomische Abhängigkeit hervorrufen.

Tradition der bürgerlichen Revolution

Die "Entdecker" der Menschenrechte sind bei den bürgerlichen Revolutionären Nordamerikas und vor allem Frankreichs zu finden. (Karl Marx, Zur Judenfrage, MEW 1, 362) Die Menschenrechtserklärungen dienten dem Kampf gegen feudale Verhältnisse und sind insoweit fortschrittlich.

Robespierre versuchte 1793 zum ersten Mal, das Recht auf Leben als erstes Menschenrecht in der Verfassung zu verankern. "Das erste Recht ist das zu leben; das erste soziale Gesetz ist demnach dasjenige, welches allen Mitgliedern der Gesellschaft die Mittel zur Existenz garantiert; alle übrigen sind diesem untergeordnet." (Albert Soboul, Die große französische Revolution, Frankfurt 1973, 359) Mit allen übrigen Rechten meinte er vor allem das Recht auf Privateigentum, das im Artikel 2 der Erklärung der Menschenrechte vom August 1789 als natürliches Menschenrecht proklamiert worden war. Das Menschenrecht auf Privateigentum galt als die "praktische Nutzanwendung des Menschenrechts auf Freiheit". (MEW 1, 364)

Die schließlich am 24. Juni 1793 verabschiedete Fassung nahm jedoch das Menschenrecht auf Existenzmittel nicht auf, sondern bekräftigte nur das Menschenrecht, "seinen Besitz ... nach Belieben zu genießen und darüber zu verfügen ." (Walter Markov, Albert Soboul, 1789 Die Große Revolution der Franzosen, Köln 1989, 197)

Robespierre erkannte wie alle Jakobiner das Eigentumsrecht als Naturrecht an, wollte es aber gesetzlich beschränken. "Das Eigentum ist das Recht jedes Bürgers, den Teil der Güter zu besitzen und darüber zu verfügen, der ihm vom Gesetz garantiert ist ." (Robespierre in einer Rede über eine neue Erklärung der Rechte vom 24. April 1793; vgl. Soboul 1973, 273)

Robespierres Forderung nach einem in der Verfassung verankerten "Menschenrecht auf Leben" diente dazu, die Unterstützung der Sansculotten im Kampf gegen die monarchistische Bourgeoisie und die in- und ausländische Aristokratie zu gewinnen. Die Beschränkung der Freiheit des Eigentums sollte die Ernährung der Volksmassen unter den Bedingungen der Blockade und der Kriege zur Verteidigung der bürgerlichen Republik sichern. Sie war eine Notlösung im Kriegszustand. (Soboul 1973, 316, 332, 355)

Die Sansculotten ("die ohne Kniebundhosen", den von Adel und Klerus getragenen Hosen) waren vor allem Kleinbürger, kleine Handwerker und Händler. Ziel der Sansculotten "war eine Gesellschaft der kleinen unabhängigen Produzenten, Bauern und Handwerker, die jeder ihr Feld, ihren Laden oder ihre Werkstatt besaßen und in der Lage waren, ihre Familien ohne Zuflucht zu Lohnarbeit zu ernähren. Es war ein Ideal, das den Verhältnissen Frankreichs und seines Volkes am Ende des 18. Jahrhunderts entsprach ." (Soboul 1973, 359) Sie waren für Privateigentum, traten aber gegen die großen Eigentümer auf. Sie wollten ihre Existenz nicht durch ein Grundeinkommen, sondern z.B. durch die Festsetzung von Höchstpreisen vor allem für Lebensmittel, d.h. geringere Handelsprofite sichern, durch gesetzlich herabgesetzte Industrieprofite, aber auch durch die Festsetzung maximal zulässiger Löhne. Die Verfassung von 1793 wurde mit 1,8 Millionen Stimmen bei 17.000 Gegenstimmen angenommen, (Markov 1989, 198) obwohl sie Einschränkungen des Menschenrechts auf Privateigentum ablehnte. Das Menschenrecht auf Privateigentum hatte sich gegen das Menschenrecht auf Existenzmittel durchgesetzt. Es entsprach den Interessen der Klassen, die die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Nicht nur dem Interesse der französischen Bourgeoisie, sondern auch dem Interesse der Masse der Bauern an Aufhebung der Leibeigenschaft und an Eigentum an Grund und Boden und den Interessen der kleinen Gewerbetreibenden. Es war Ausdruck des Übergangs von feudalen zu bürgerlichen Produktionsverhältnissen. Rechtsnormen entspringen nicht dem Recht und seiner politischen Festsetzung durch den Staat, sondern den ökonomischen Gegebenheiten.

Die französische Handels- und Industriebourgeoisie verwirklichte ihre ökonomischen Interessen u.a. in der Ablehnung von Höchstpreisen und in der Zurückhaltung von Waren, um Preissteigerungen zu erzwingen. Die Jakobiner beschränkten in deren Interesse die Profitspannen lange Zeit nicht, ebenso wenig die Transportpreise (Soboul 1973, 322, 355). Die Überschreitung der schließlich 1793 festgesetzten Höchstpreise und der Schwarzmarkt wurden letztlich geduldet. (Soboul 1973, 339, 357) Die Profitinteressen der Bourgeoisie hatten Vorrang von einem "Recht auf Existenzmittel".

Auch Robespierre musste im Juli 1793 feststellen, dass die Revolution den Bürgern, "deren einziges Eigentum aus ihrer Arbeitskraft besteht" bisher "fast nichts" gebracht hat. (Soboul 1973, 291) Jacques Roux als Sprachrohr der Sansculotten erklärte 1793: "Die Republik ist nur ein eitles Hirngespinst, wenn Tag für Tag die Konterrevolution in Gestalt des Lebensmittelpreises auftritt, den drei Viertel der Bürger nicht ohne Tränenvergießen bezahlen können ... ." (Soboul 1973, 287f.)

Im Interesse des Menschenrechts der Privateigentümer unterdrückten die Jakobiner Lohnkämpfe der LohnarbeiterInnen. Schon mit einem Dekret vom 14. Juni 1791 hatte die französische Bourgeoisie alle Vereinigungen von Arbeitern als "Attentat auf die Freiheit und die Erklärung der Menschenrechte" verboten. (nach Marx, Das Kapital, MEW 23, 769) Begründung: "'Obgleich es wünschenswert, daß der Arbeitslohn höher steige, ..., damit der, der ihn empfängt, außerhalb der durch die Entbehrung der notwendigen Lebensmittel bedingten Abhängigkeit sei, welche fast die Abhängigkeit der Sklaverei ist,' dürfen sich Arbeiter nicht zusammenschließen, weil sie dadurch 'die Freiheit ihrer jetzigen Unternehmer' verletzen, die Freiheit, ihre Arbeiter in Lohnsklaverei zu halten." (Marx, Das Kapital, MEW 23, 770) Die Berufung auf Menschenrechte dient dazu, die Lohnsklaverei zu reproduzieren. Das Koalitionsverbot wurde von der "Schreckensregierung" unter Robespierre beibehalten und vollstreckt. Am 8. November 1793 wurde auch Frauen per Gesetz jegliche politische Vereinigung verboten. Das, die Verweigerung des Wahlrechts für Frauen und die Hinrichtung von Olympe de Gouges, einer Vorkämpferin der Gleichberechtigung der Frau, beschränkte die Menschenrechte im Wesentlichen auf Männerrechte.

Die Jakobiner unterdrückten schließlich auch die Volksbewegung der Sansculotten insgesamt. Sie lösten ihre Sektionen auf, verboten ihre Presse und verhafteten ihre Führer. Sie verloren deshalb innerhalb eines Jahres die Unterstützung der Volksmassen. Robespierre und seine Anhänger konnten 1794 von den kompromisslosen Vertretern der Bourgeoisie ohne größeren Widerstand abgesetzt und hingerichtet werden. Die Bourgeoisie als Hauptnutznießerin des "Rechts auf Privateigentum", hatte über das Kleinbürgertum, aber auch die Lohnarbeiter gesiegt, die ihre sozialen Interessen über ein "Recht auf Existenzmittel" verfolgten.

Menschenrechte sind Rechte des Menschen als einzelnem Menschen. "Keines der Menschenrechte geht ... über den egoistischen Menschen hinaus, über den Menschen, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich auf sich, auf sein Privatinteresse und seine Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum ist ." (Marx, Zur Judenfrage, MEW 1, 366) In der realen Produktionsweise setzt sich also der stärkste Privateigentümer, als "stärkster Mensch" durch und unterdrückt alle anderen Menschen, seien sie schwächere Privateigentümer oder Lohnarbeiter. Menschenrechte können ihrer Natur nach in der Realität niemals universell sein. Sie waren und sind sowohl mit Sklaverei und Rassismus vereinbar (wie z.B. in Nordamerika), als auch mit Lohnsklaverei und der gewaltsamen Unterjochung ganzer Völker.

Thomas Paine, eine der "Leitfiguren der Französischen Revolution" und "Vordenker" des bedingungslosen Grundeinkommens forderte für alle Erwachsenen ab 21 eine Summe an Geld "als Entschädigung für die naturrechtlichen Ansprüche, die ihnen durch das System des Grundeigentums verloren gegangen sind". (Yannick Vanderborght, Philippe van Parijs, Ein Grundeinkommen für alle?, Frankfurt 2005, 21) Die Erde sei eigentlich Eigentum der ganzen Menschheit. Paines bedingungsloses Grundeinkommen findet nicht eingelöste naturrechtliche Eigentumsansprüche an Grund und Boden mit Geld ab.

Geld statt Eigentum an Produktionsmitteln kennzeichnet auch das heutige BGE, das ebenfalls die Eigentumslosigkeit der breiten Masse anerkennt. Paine hielt die Abfindung der Eigentumslosen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen für ein "Gerechtigkeitserfordernis", ebenso wie seine heutigen Nachfolger. Nur dass diese das BGE nicht mehr als Entschädigung für Eigentumslosigkeit auffassen, sondern nur noch als Naturrecht jedes Menschen, sei er auch der reichste Eigentümer. Menschenrechte gelten als bedingungslos, weil sie eine "radikale und vorbehaltlose Bejahung des anderen darstellen." (Rätz u.a. 2005, 31) Die Verkäufer der Ware Arbeitskraft müssen also ihre Käufer vorbehaltlos bejahen, d.h. die Lohnarbeit bejahen, wenn sie auf dem Boden der Menschenrechte stehen wollen.

Zurück zu Paine: Diejenigen, die eine gleiche Verteilung des Grundeigentums in einem Ackergesetz forderten, wurden durch ein Dekret vom 18.März 1793 mit dem Tode bestraft.

Werner Rätz (attac) sieht das Menschenrecht auf Einkommen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO von 1948 juristisch verankert. Dort heißt es in Artikel 27: "Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet ... ." Die Erklärung der Menschenrechte durch die UNO im Jahre 1948 steht in der Tradition der Bürgerrechte als Menschenrechte. Noch vor dem Menschenrecht auf einen dem Wohl des Menschen dienenden Lebensstandard erklärt der Artikel 17: "Jeder Mensch hat allein oder in Gemeinschaft mit anderen Recht auf Eigentum. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden." Die Erklärung der Menschenrechte drapiert heute den Imperialismus, die Unterwerfung der ganzen Welt unter die Bedürfnisse des Kapitals der fortgeschrittensten bürgerlichen Nationen. Das Recht des stärkeren egoistischen Menschen bzw. des stärksten Kapitals hat sich weltweit durchgesetzt.

Wie stellen sich die heutigen VertreterInnen des Grundeinkommens als Menschenrecht die Gesellschaft vor?

Die bürgerliche, die kapitalistische Gesellschaft ist auch für sie die als natürlich vorausgesetzte Basis des Menschenrechts auf ein bedingungsloses Grundeinkommen.

In dieser Gesellschaft gibt es
Unternehmen , die mit Hilfe des BGE ihre Lohnnebenkosten senken können,
Lohnabhängige , die allerdings nicht mehr erpressbar sind bzw. motivierte MitarbeiterInnen , durch die Unternehmen gewinnen können,
Reichtum , der allerdings stärker besteuert werden muss,
Konjunkturkrisen , die allerdings durch Stabilisierung der Kaufkraft abgefedert werden können. (alle kursiv gesetzten Begriffe stammen aus der Erklärung des Netzwerks Grundeinkommen).

In der Grundeinkommensgesellschaft gibt es Arbeitgeber und Arbeitnehmer, deren Verhandlungsposition als Warenverkäufer auf dem Arbeitsmarkt gestärkt werden muss. (Sölken, Newsletter Netzwerk Grundeinkommen, Nr. 9, November 2006, 4)

Sie ist ein "Kapitalismus ohne Vollbeschäftigung" mit einem "neuen Gefühl sozialer Sicherheit und Freiheit". (Ulrich Beck, Die Tageszeitung 30.4./1.5.2007, 4) In ihr gibt es nach wie vor den Staat , der allerdings zum wirklichen Sozialstaat werden soll.

Banken und Konzerne, Finanzkapital, Kapitalverwertung, Konkurrenz der Kapitalisten untereinander, Krisen, Lohnarbeit und Arbeitsmarkt, Rationalisierung mit dem Ziel, Arbeitskräfte überflüssig zu machen usw.: all das bleibt bestehen. Der "Systemwechsel" besteht im Wesentlichen in einem "Politikwechsel" auf der Grundlage der heutigen Eigentums- und Produktionsverhältnisse. Der diese Verhältnisse garantierende bürgerliche Staat soll aber endlich Armut und Unfreiheit abschaffen, die auf dieser Grundlage erzeugt werden. Mit einem einzigen Mittel, einer bestimmten Summe an Geld, das bedingungslos jedem zusteht. Die durch eine Umverteilung von Geld mit sich angeblich versöhnte Gesellschaft soll dadurch zur solidarischen Gesellschaft werden, in der Freiheit, Brüderlichkeit, Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit endlich verwirklicht sind.

In der Tat ist es immer weniger möglich, über Lohnarbeit die gegenwärtigen Lebensbedürfnisse ausreichend und dauerhaft zu befriedigen, geschweige denn Kinder zu unterhalten. Unter kapitalistischen Bedingungen bedeutet höhere Produktivität langfristig sinkende Nachfrage nach Ware Arbeitskraft, auch der Arbeitskraft von Universitätsabsolventen, und den Ruin der verbleibenden Kleineigentümer und Freiberufler. Damit wird auch der Ausweg erschwert, dem weiterbestehenden Zwang der Lohnarbeit über die Selbstständigkeit zu entkommen.

Dem Ideal der Sansculotten, eine Gesellschaft von kleinen Privateigentümern, eine Gesellschaft von Gleichen ist durch die kapitalistische Entwicklung schon lange die Grundlage entzogen worden. Die Konzentration und Zentralisation von Kapital in Industrie und Landwirtschaft, Handel und Bankwesen ist unumkehrbar. Die Utopie der Sansculotten, ein real gleiches Eigentum für alle, hat sich in die Idee des gleichen, staatlich zugeteilten Geldbetrags für alle verwandelt, mit dem die real wachsende Ungleichheit der Eigentumsverhältnisse anerkannt wird. Am Wachstum der realen Ungleichheit ändern auch Umverteilungen nichts.

Die heutigen Produktionsverhältnisse lassen produktive Betätigung selbst in Form entfremdeter Lohnarbeit und zwergenhafter Selbstständigkeit immer weniger zu. Wenn man Kapital und Lohnarbeit grundsätzlich akzeptiert, gibt es auf diesem Boden nur eine, allerdings utopische Rückzugsmöglichkeit. Es muss eben auch "Lohn für Nichtarbeit" (Joachim Hirsch) gezahlt werden, wenn Lohnabhängige ihre Arbeitskraft nicht als Ware verkaufen bzw. ein laufendes Einkommen, wenn Kleineigentümer und Freiberufler nicht vom Verkauf ihrer Waren als Selbstständige leben können.

Das BGE erscheint als letzte staatliche Sicherheit für LohnarbeiterInnen und Selbständige, die vom Kapital in wachsendem Maße überflüssig gemacht und ruiniert werden. Der Schlachtruf "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" erstrahlt in neuem Licht. Freiheit als Unabhängigkeit vom Zwang zur Lohnarbeit und des Warenverkaufs, Gleichheit nicht mehr nur vor dem Gesetz, sondern als Gleichheit eines Grundeinkommens für jeden und Brüderlichkeit als Solidarität derjenigen, die sich nach wie vor an Lohnarbeit und Ausplünderung von "Selbstständigen" bereichern, mit den von ihnen Ausgebeuteten und Niedergedrückten.

Da der Verkauf von Arbeitskraft als Ware bzw. der Verkauf von Waren durch Arbeitende von der bestehenden Produktionsweise in wachsendem Maße unmöglich gemacht wird und nicht mehr die Quelle von Einkommen sein kann, muss es die bloße Existenz als Mensch sein, eben das Menschenrecht. Ein Recht, das logischerweise nirgendwo einklagbar ist, da es dem bürgerlichen Recht, dem Recht der Privateigentümer zuwiderläuft.

Da das bedingungslose Grundeinkommen als Menschenrecht proklamiert wird, hält es sich wie alle Menschenrechte in der Sphäre der Verteilung des erarbeiteten Mehrprodukts auf. Im Fall des BGE nicht einmal in der Sphäre des Warenaustauschs wie bei den VertreterInnen des gerechten Lohns, sondern in der noch weiter von der Produktion des Mehrwerts entfernten Sphäre der staatlichen Besteuerung des Mehrwerts. Die Art und Weise, wie Waren und Mehrwert erzeugt werden, und wie die Nutzung der Arbeitskraft durch das Kapital den Mehrwert erzeugt, aus dem Steuern abgeführt werden, interessiert die Kämpfer für angeborene Menschenrechte nicht.

Sie überlassen die Produktion des zu verteilenden Reichtums dem Kapital; sie zweifeln nicht an, dass sich das Kapital durch die Ausbeutung von Lohnarbeit vermehren muss. Sie interessiert nur ihr von ihnen selbst proklamiertes "Menschenrecht", eine bescheidene Summe Geld ohne Bedingung überwiesen zu bekommen. Sie stellen die Verteilungsfrage, weil sie in der Tradition der bürgerlichen Revolution die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und das auf sie gegründete Menschenrecht auf Ausbeutung des Menschen durch den Menschen anerkennen. Sie stellen nicht die Frage, wie sich LohnarbeiterInnen vom Kapital emanzipieren können, das sich durch ihre unbezahlte Arbeit vermehrt. Sie stellen nur die Frage, wie sich LohnarbeiterInnen auf dem Boden des Kapitalismus individuell von der weiterbestehenden Lohnarbeit emanzipieren und Selbständige dem Zwang entgehen können, in die Lohnarbeit abzusinken. Menschenrechte gehen eben von der Emanzipation des Einzelnen aus, nicht von der Emanzipation von Klassen.

Indem sie aber die Produktionssphäre dem Kapital überlassen, überlassen sie ihm auch, die Bedingungen des Verkaufs der Ware Arbeitskraft und die Verteilungsverhältnisse so einzurichten, wie es seinen Renditebedürfnissen entspricht. Wenn das "Menschenrecht auf Privateigentum" gegen das "Menschenrecht auf Existenzgeld" antritt, muss es siegen, da es die Interessen der ökonomisch und politisch mächtigsten Menschen verkörpert. Auf dieser Grundlage können sich auch Vertreter des Kapitals wie z.B. Götz Werner (dm) und Dieter Althaus, der Ministerpräsident von Thüringen, das Menschenrecht auf Einkommen für die Zwecke der Kapitalverwertung zu Nutze machen.

Sie interessieren sich vor allem für die Produktion von Mehrwert, nicht für dessen Verteilung. Sie können deshalb den Vorteil erkennen, den ein bedingungsloses Grundeinkommen für die Vermehrung des Kapitals haben kann. Es ersetzt nämlich den Preis der Ware Arbeitskraft, den Lohn, einschließlich der "Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung" bis zu einem gewissen Grad durch Steuermittel, die von der ganzen Gesellschaft aufgebracht werden. Die für die Verteilungssphäre entwickelten Ideen, mit denen sich die BGE-Vertreter abmühen, zeigen nämlich auch Wirkung in der Produktionssphäre. Das universelle Menschenrecht auf BGE kommt mit Werner, Althaus, Straubhaar usw. nur auf die Erde der Kapitalverwertung zurück, die seine Voraussetzung ist.

Dennoch erkennen linke Vertreter des BGE darin, dass auch Prominente wie Werner und Althaus das BGE befürworten, den "nicht mehr aufzuhaltenden Aufbruch einer Idee." (Rein, a.a.O.)

Vom Himmel der Idee auf die Erde herabgestiegen, wissen aber auch Sprecher des Netzwerks wie Günter Sölken: "Wäre das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich so hoch, dass der Anreiz, eine Erwerbsarbeit nachzugehen entfiele, würde sich unsere Vision von einer Welt mit Grundeinkommen augenblicklich in Luft auflösen ." (Newsletter a.a.O., 3) In der Tat, das BGE ist für das Kapital, also für die ökonomische Basis des Menschenrechts auf BGE, nur annehmbar, wenn es den Zwang zur Lohnarbeit nicht außer Kraft setzt. Darüber entscheidet die Höhe des BGE. Wird es bei 600 Euro und weniger angesiedelt, bleibt der für das Kapital lebensnotwendige Zwang zur Lohnarbeit bestehen. Dann verwandelt sich das BGE aus dem utopischen Wunsch nach einer durch den bürgerlichen Staat finanzierten Emanzipation von Lohnarbeit in eine flächendeckende Lohnsubvention. Auf dem unangetasteten Boden des Menschenrechts auf Privateigentum, d.h. auf Kapital tritt das BGE entweder als Lohnsubvention ins Leben oder gar nicht.

Das ist deutlich an der Teilforderung auf eine bedingungslose Kindergrundsicherung zu sehen. Bedingungsloses Kindergeld in Höhe von 300 Euro ist eine alte Forderung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Damit können die Unterhaltungskosten des Nachwuchses der Arbeitskraftwaren vergesellschaftet und die Löhne, sofern sie noch Bestandteile der Kosten der Kinder enthalten, entsprechend gesenkt werden, während die private Aneignung der Arbeitsergebnisse der Arbeitskräfte bestehen bleibt. Solche Forderungen zeigen, dass Löhne mehr und mehr unter die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft fallen und die Ware Arbeitskraft von ihren Käufer in wachsendem Maße auf gesellschaftliche Rechnung gekauft wird.

BGE oder Lohnarbeit?

Das Dogma linker BGE-Protagonisten lautet: Wer das BGE nicht anerkennt, kann nur ein Vertreter des Kapitals und der Lohnarbeit sein. Die gewerkschaftslinken Kritiker des BGE, die dem BGE nur die Sinnhaftigkeit der Lohnarbeit entgegenstellen, nähren diese Auffassung. Die radikale Kritik des BGE dagegen setzt aber nicht auf Lohnarbeit und dadurch erarbeitetes Geld, sondern darauf, dass die Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums die Eigentümer der Produktionsmittel werden und sich den von ihnen erarbeiten Reichtum selbst aneignen müssten, um darüber schließlich "ein von Existenznot, staatlicher Bevormundung und ökonomischer Abhängigkeit freies Leben" zu verwirklichen, also das auf dem Boden des Kapitalismus leere Versprechen des BGE zu realisieren. Dass die radikale Kritik des BGE als individueller "Befreiung" von Lohnarbeit, nicht die Lohnarbeit verteidigt, sondern aufheben will, passt nicht ins Schwarz-Weiß-Schema der Wunderheiler des BGE. Dialektik ist bürgerlichen Ideologen unbegreiflich.

Es ist schon eine Kunst,

  • die kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse ausdrücklich vorauszusetzen,
  • die doch immerhin real existierenden Lohnabhängigen davon abbringen zu wollen, sich für Tagesforderungen einzusetzen, weil das die Lohnarbeit zementiere und nicht antikapitalistisch sei,
  • ihnen stattdessen die Utopie "Wenn ich einmal Geld hätte" vorzusingen,
  • von Freiwilligkeit der Lohnarbeit für das Kapital und einer Wiederbelebung von Kleineigentümern ohne Eigentum zu träumen
  • und gleichzeitig unverdrossen zu behaupten, man wolle das Lohnsystem und damit den Kapitalismus überwinden.

Den Vogel schießt Blaschke ab, ein Mitarbeiter von Katja Kipping, einer stellvertretenden Vorsitzenden der Linkspartei. Er wirft mir vor, ich würde das "Lohnarbeitsprinzip" verteidigen und die "Lohnsklaverei als Ziel" haben, weil ich für Forderungen auf dem Boden der Lohnarbeit eintrete, wie z.B. einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens zehn Euro oder die Erhöhung des Eckregelsatzes von Hartz IV auf mindestens 500 Euro und mich angeblich darauf beschränken wolle. "Mindestlohn für abhängig Erwerbstätige und Mindesteinkommen für Erwerbslose ist kein antikapitalistischer Ansatz ... ." (Blaschke, Sklaverei der Lohnarbeit als Ziel? Oktober 2006, www.labournet.de a.a.O.) Lohn sei nach Marx überhaupt nur Sklavensalair, ein Mindesteinkommen für Erwerbslose demzufolge nur ein Salair für Sklaven in Reserve. Bloße Lohnforderungen seien nicht antikapitalistisch. Das sei nur das BGE, das "individuell die Möglichkeit der Entscheidung für oder gegen bestimmte Bedingungen der Arbeit, ihres Zweckes und ihrer Art und Weise befördert". Das BGE für alle sei "ein sicherer Grund ... sich auch ganz praktisch gegen Lohnarbeits-/Kapitalverhältnisse und für andere Formen der Produktion ihres Lebens entscheiden zu können."

Die individuelle Befreiung von Lohnarbeit durch ein vom bürgerlichen Staat ausgezahltes Geld ist für Blaschke die individuelle Befreiung (Selbstbefreiung) vom Kapitalismus und damit antikapitalistisch. Das wirke dann positiv zurück auf ... die Lohnarbeit. Nur das BGE wirkt also wirklich positiv auf Verbesserung der Lage von LohnarbeiterInnen ein, da es mit der Option des individuellen Ausstiegs aus der Lohnarbeit verknüpft ist. Wenn man also dafür eintritt, Tageskämpfe ohne die Forderung nach dem BGE zu führen, zieht man sich den Vorwurf zu, die Lohnsklaverei zu zementieren. Das bedeutet, dass nur die Verknüpfung von Tagesforderungen mit dem BGE als individueller Selbstbefreiung als Ziel praktischer Schritte anerkannt wird. Die Tagesforderungen treten weit zurück hinter die Forderung nach dem BGE.

Blaschke meint, sich mit Marxzitate schmücken zu müssen, um von Linken ernstgenommen zu werden und als wirklich revolutionär zu erscheinen. Marx erklärte bekanntlich, dass Gewerkschaften ihren Zweck gänzlich verfehlen, wenn sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig für die "endgültige Abschaffung des Lohnsystems" einzutreten. (Lohn, Preis und Profit, MEW 16, 152) Zwischen der Abschaffung des Lohnsystems und dem individuellen Ausstieg aus dem Lohnsystem unter Beibehaltung des Lohnsystems besteht aber ein erheblicher Unterschied.

Blaschke garniert seine Ausführungen mit Marx, lässt aber auch seine Kritik an den Menschenrechten der Revolution der Bürger unter den Tisch fallen.

Wie schon gesagt, hielt Marx die Menschenrechte für die Reduktion des Menschen auf das "egoistische unabhängige Individuum", das sich nur im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft bewegt, also nur auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsverhältnisse.

Es geht den "unveräußerlichen" Menschenrechten wie schon in den letzten 230 Jahren, dass sie "in der Praxis auf die herrschende Klasse beschränkt blieben und der unterdrückten Klasse, dem Proletariat, direkt und indirekt verkümmert wurden ." (Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, MEW 21, 82) Dennoch scheint auch in den Ansprüchen der sozialen Menschenrechte schon die Sehnsucht nach einer Gesellschaft auf, in der die Bedürfnisbefriedigung von Menschen im Mittelpunkt steht. Eine Sehnsucht, der allerdings das Menschenrecht selbst in Form des Menschenrechts auf Privateigentum an Produktionsmittel im Wege steht. Den positiven Gehalt der Menschenrechte nutzen, setzt voraus, diesen Widerspruch aufzuzeigen. Auch die in Menschenrechten proklamierten demokratischen Rechte gilt es zu nutzen.

Die Eigentümer der Banken und Konzerne akzeptieren die großartige Idee des Übergangs der Mehrwertproduktion vom für den Kapitalismus seit Jahrhunderten lebensnotwendigen Zwang zur Lohnarbeit zur Freiwilligkeit der Lohnarbeit genauso wenig wie die großartige sozialdemokratische Idee, dass Lohnerhöhungen im Interesse der Profitmaximierung des Kapitals seien.

Da diese Menschen die Interessen des Menschen im allgemeinen und seine universellen Rechte noch nicht verstehen, wird man sie ihnen in geduldiger Kleinarbeit erklären müssen. Dem Kapital den Spiegel vorzuhalten, verbietet sich dabei. Dann schon lieber diejenigen verleumden, die den sozial gerechten Kapitalismus mit bedingungslosem Grundeinkommen für eine Utopie halten.

Ein Trost bleibt aber: das Menschenrecht auf ein ausreichendes Einkommen ohne Zwang zur Lohnarbeit und Bedürftigkeitsprüfung ist schon teilweise verwirklicht, nämlich für die herrschende Klasse, die sich schon immer von der Lohnarbeit emanzipieren konnte und Bedürftigkeitsprüfungen nicht nötig hat, da sie aus der Ausbeutung von LohnarbeiterInnen ausreichend Mittel zieht, um alle ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ohne dass jemand ihre Berechtigung prüfen müsste.

Artikel von Rainer Roth als leicht überarbeiteter Vorabdruck aus "Kleine Hattersheimer Hefte" Nr. 11, Mai 2008

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Stand:12. Dezember 2012