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Agenda 2010 - wie weiter?

Vortrag von Rainer Roth in Hanau, 5.3.2004

 

Veranstalter: Hanauer Bündnis der Gewerkschaften, Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau, Attac Hanau, Internationales Kultur- und Kommunikationszentrum, DIDF, Peoples Global Action, Neue Hanauer Zeitung u.a.

 Krisenprogramme

Ich zitiere aus dem letzten Geschäftsbericht der Deutschen Bank:

"Für Deutschland geht es weit über die Bekämpfung einer trotz aller Schwere vorübergehenden Wirtschaftskrise hinaus. Es geht (darum), vermeidbare Hindernisse zu beseitigen, die der Entwicklung ... unserer Wirtschaft überhaupt im Wege stehen. Zu diesen Hemmnissen gehört insbesondere unser Steuersystem. Daß  der Etat (des Staates) ... abgebaut werden muß, darüber besteht wohl keine Meinungsverschiedenheit mehr. .... Ebenso hemmend wie das Steuersystem wirkt sich die Lohn- und Gehaltshöhe aus. ... Wäre die Nominalhöhe der Löhne und Gehälter in Deutschland 10% niedriger ...., so ständen wir nicht unter dem Druck der Arbeitslosigkeit." (Aus dem Jahresbericht der Deutschen Bank von 1929, Hoerster 79-80)

Kolleginnen und Kollegen, es war nicht der letzte Geschäftsbericht der Deutschen Bank, sondern der von 1929.

Die Weltwirtschaftskrise wurde damals auf dem Rücken der LohnarbeiterInnen letztlich damit "gelöst", dass die Tarifverträge nach 1933 beseitigt, die Löhne und Sozialleistungen massiv gesenkt und die Gewerkschaften zerschlagen wurden.

Eine solche Lösung der Krise wollen wir nicht.

 Das gegenwärtige Krisenprogramm heißt Agenda 2010. Es zielt ebenfalls darauf, die "Hemmnisse" des Steuersystems und der Lohnhöhe zu verringern. Die Agenda 2010 ist der bisher massivste Angriff auf den Lebensstandard der Lohnabhängigen in der Nachkriegszeit.

 Der IHK-Präsident von Frankfurt bezeichnete sie dennoch nur als "Reförmchen light". Sie ist in den Augen des Kapitals eben nur ein kleiner, zaghafter Schritt in die richtige Richtung, d.h. in die Richtung seiner Interessen. Wir müssen diese Richtung deutlich herausarbeiten, damit der Ernst der Lage klar wird und wir nicht nur auf das verwirrende Tagesgeschäft reagieren, in dem mit vielen taktischen Winkelzügen und Falschmeldungen nur um kleinere oder größere Schritte geht, die in diese Richtung unternommen werden.

 

I) Löhne

Zunächst allgemein die Richtung:

* Hans-Werner Sinn und das Ifo-Institut meinen, mit 10-15% Bruttolohn weniger für alle könnte man die Arbeitslosigkeit weitgehend beseitigen (siehe Deutsche Bank 1929). Bei gering Qualifizierten sei ein Drittel notwendig. "Jeder, der Arbeit sucht, findet Arbeit, wenn man zulässt, dass der Lohn weit genug fällt ... " (Sinn, Ist Deutschland noch zu retten, München 2003, 93) Der Vorstandsvorsitzende von Siemens zu Sinns Vorschlägen:" Deutschland braucht Aufbruchstimmung. ... Mit seiner messerscharfen Analyse des Krisenbefunds und einer klaren Handlungsanleitung gibt er den Weg vor." Das Kapital will eine Aufbruchsstimmung erzeugen, indem es die Löhne senkt. Es verwechselt sich mit Deutschland. Bei uns jedenfalls wird nur dann eine Aufbruchsstimmung eintreten, wenn wir es schaffen, eine breite, aktive Front gegen Lohnsenkungen aufbauen.

* 10-15% wäre erst der Anfang. Denn solange es Arbeitslosigkeit gibt, beweist das für das Kapital immer nur eins, dass nämlich die Löhne zu hoch sind. Die Arbeitskraft ist eben eine Ware, deren Preis wie der Preis aller anderen Waren auch bei Überangebot fallen muss. Deshalb wird der Hauptgrund für Arbeitslosigkeit in der Lohnhöhe gesehen.

 * Sinn stellt hier die Systemfrage:" So wie der Apfelpreis umso niedriger sein muss, je größer die Apfelernte ist, damit alle Äpfel ihre Abnehmer finden, muss auch der Lohn der Arbeitnehmer ... umso niedriger sein, je mehr es von ihnen gibt, damit keine Arbeitslosigkeit entsteht. Noch einmal sei hier wiederholt, dass dem Gesetz der Nachfrage keine moralische Qualität innewohnt. (Es gibt also keine "soziale" Marktwirtschaft. R.R.) Es ist eine bloße Beschreibung der Funktionsweise der Marktwirtschaft, die man akzeptieren muss, wenn man diese Wirtschaftsform überhaupt will." (Sinn 2003, 177f.) Wer also gegen Lohnsenkungen kämpft, wer nicht akzeptiert, dass seine Arbeitskraft eine Ware ist, die auf einer Stufe wie Obst steht, der akzeptiert allein schon damit dieses Wirtschaftssystem nicht. Viele wissen noch nicht, dass sie Gegner des Kapitalismus sind, wenn sie ihre Interessen als LohnarbeiterInnen verteidigen. Man sollte es ihnen sagen.

Der Fall der Löhne hat auf dem Boden der Lohnarbeit keine Grenze nach unten, es sei denn die arbeitenden Menschen setzen sie. Und dazu müssen sie sich organisieren.

 

Agenda 2010 - organisiertes Lohndumping

Wie wirkt nun die Agenda 2010 in die Richtung Lohnsenkungen?

a) Die Aushöhlung des Kündigungsschutzes (Sinn ist für die Abschaffung) erleichtert Entlassungen und Lohnsenkungen.

b) Die Drohung des Kapitals und der Bundesregierung mit gesetzlichen Eingriffen zur Aushöhlung der Flächentarifverträge bezweckt ebenfalls Lohnsenkungen. Dagegen haben hunderttausende gestreikt.

c) Die aktuell wichtigste Maßnahme aber besteht darin, dass ab 1.1.2005 rd. 3 Millionen Arbeitslose gezwungen sind, zu untertariflichen Löhnen, d.h. zu Löhnen unterhalb des Existenzminimums zu arbeiten. Das greift die Tarifverträge ebenfalls massiv an.

Die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds wurde beschränkt und die Arbeitslosenhilfe wurde abgeschafft, damit möglichst viele Arbeitslose nur noch Arbeitslosengeld II (ALG II) beziehen. ALG II ist eine Art Sozialhilfe, die aber unterhalb der heutigen Sozialhilfe liegt. Zusätzlich zum neuen Regelsatz von 345 Euro gibt keine einmaligen Beihilfen für Kleidung, Hausrat usw. mehr. Die Regelsätze der Kinder zwischen 7 und 17 Jahren werden gesenkt. (Deutschland muss ja wieder kinderfreundlich werden.)

Das Mietniveau wird pauschaliert. Da die Kommunen für die Unterkunftskosten aufkommen müssen (für ALG II zahlt der Bund) und der Anspruch auf Wohngeld entfällt, haben sie angesichts ihrer Finanzkrise an starkes Interesse an niedrigen Mietpauschalen. Nicht wenige befürchten, dass Arbeitslose verstärkt von Obdachlosigkeit bedroht sind.

 

Warum das alles? Offiziell heißt es, man müsse "Fehlanreize" beseitigen (d.h. Unterstützungen senken), um "Arbeitsanreize" zu schaffen. Problem ist also die Faulheit der Arbeitslosen, die keine Lust zum arbeiten haben, weil 50-60% ihres früheren Lohns zu viel ist. In der Slowakei wurde die Sozialhilfe für Langzeitarbeitslose schon halbiert, um ebenfalls angeblich "Arbeitsanreize" zu schaffen. Der Arbeitsanreiz wäre offensichtlich dann am höchsten, wenn es gar keine Sozialhilfe für Arbeitsfähige mehr geben würde. Dann wären wir wieder im Deutschland des 19.Jahrhundert oder in der Gegenwart der USA.

 

Das Kapital betrachtet nicht die Arbeitslosenhilfe, sondern die Sozialhilfe als das eigentliche Problem. "Hier zu Lande ist der Arbeitsmarkt das Problem. Er wird heftig verzerrt durch Flächentarifverträge, vor allem aber durch die Sozialhilfe." (Sinn in Financial Times Deutschland vom 29.01.2004)

Warum Sozialhilfe? 

"... Die Lohnersatzeinkommen, ..., erzeugen Arbeitslosigkeit, weil sie wie Lohnuntergrenzen im Tarifsystem wirken." (Sinn 2003, 161-2) Sozialhilfe wirkt wie ein Mindestlohn. Wobei der Sozialhilfe-Mindestlohn immer auf der Basis einer Familie mit zwei Kindern berechnet wird.

Angriffe auf die Sozialhilfe oder auf die Arbeitslosenhilfe sind also Angriffe auf die "Mindestlöhne" der Beschäftigten insgesamt. Das muss klar gemacht werden.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), die Dachorganisation aller Unternehmen in Deutschland verlangt die Senkung der Sozialhilfe um 25%. Sinn schlägt sogar vor, dass "der Eckregelsatz und einmalige Leistungen im Rahmen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt für erwerbsfähige Haushaltsmitglieder zur Gänze entfallen, während der Mietzuschuss ... weiter gezahlt" wird. (Sinn 2003, 202) Ähnliches fordert der von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenrat. Alles läuft auf die Drohung mit Hunger und Obdachlosigkeit hinaus, wenn man keine Lohnarbeit zu Armutslöhnen machen will.

Die LohnarbeiterInnen und die Gewerkschaften müssen also nicht nur die Tarifverträge verteidigen, sondern auch die Höhe des Unterstützungsniveaus, die das Tarifniveau flankiert. Beides gehört untrennbar zusammen.

 

Sozialhilfe soll vollautomatisch mit Mißbrauch, Bekämpfung von Schmarotzern oder Sozialer Hängematte in Verbindung gebracht werden. Daran arbeiten Medienkonzerne und Regierungspolitiker, um eben den "Mindestlohn" Sozialhilfe zu senken. Die Hetze gegen SozialhilfebezieherInnen richtet sich in Wirklichkeit gegen alle LohnarbeiterInnen. Wir müssen eine Gegenpropaganda entwickeln.

 

d) Löhne jetzt auch unterhalb der Arbeitslosenunterstützung zumutbar

Die Einführung des ALG II allein ist schon staatlich organisiertes Lohndumping. Aber die Große Koalition aus SPD, Grünen und CDU geht noch weiter.

Ab 2005 sind rd. 3 Mio. Arbeitslose, die Alg II bekommen, gezwungen, zu Löhnen unterhalb ihres Unterstützungsniveaus zu arbeiten. Als einzige offizielle Schranke bleibt: Arbeiten für mehr als 30% unter Tarif sind nicht legal, da sittenwidrig, so die Sozialgerichte. Leiharbeit von Ungelernten für fünf Euro ist also noch sittlich.

Um dem staatlich geförderten Fall der Löhne eine Grenze nach unten zu setzen, müsste jeder individuell klagen, um gerichtlich feststellen zu lassen, ob sein Lohn diese Grenze unterschreitet. Das macht kaum einer. Deshalb fördert die Agenda 2010 den freien Fall der Löhne nach unten.

Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, Klaus Brandner, ein ehemaliger IG.Metall-Funktionär erklärte, die Rechtslage hätte sich also doch gar nicht geändert. Das ist ein Beispiel für Desinformation, denn bis jetzt gilt noch, dass ein Nettolohn unterhalb der Arbeitslosenunterstützung unzumutbar ist. Ab 2005 können die Arbeitsämter Löhne unterhalb der Unterstützung erzwingen.

Um die SPD zu entlasten, schieben manche das Ganze der CDU in die Schuhe. Aber der Bundestag mitsamt der allermeisten Gewerkschaftmitglieder der SPD hat dem Lohndumping zu fast 100% zugestimmt. Die CDU hat im Vermittlungsauschuss nur den Zustand wiederhergestellt, den Schröder und Fischer von Anfang an gewollt haben. Unter dem Druck einer Handvoll gewerkschaftlich organisierter Abgeordneter war als untere Grenze zeitweise das ortsübliche Entgelt bzw. der Tariflohn festgesetzt worden. U.a. deswegen hatte die DGB-Führung auf machtvolle Demonstrationen gegen das geplante Lohndumping verzichtet. Aber allermeisten SPD-Abgeordneten, die zunächst für Tariflöhne als Mindestentgelt gestimmt hatten, haben das zusammen mit der CDU auch wieder gekippt. Die Taktik der DGB-Führung, sich auf parlamentarische Lobbyarbeit zu beschränken, um Lohndumping zu verhindern, ist völlig gescheitert. Das sollte eine Lehre sein.

Michael Sommer erklärt jetzt:" Herausgekommen ist ein Gesetz, das dazu geeignet ist, Millionen Beschäftigte mit einfachem und mittleren Einkommen in Armutslöhne zu treiben. Von 2005 an müssen Langzeitarbeitslose jeden Job annehmen - bis zur Grenze der sittenwidrigen Bezahlung. Wer heute neun Euro verdient, muss damit rechnen, dass sein Job durch jemanden ersetzt wird, der vom Arbeitsamt gezwungen wird, ihn zu sechs Euro zu machen. Ein Programm zur massiven Lohnsenkung. Das muss zurückgenommen werden." (FR 20.02.2004)

Dem kann man nur zustimmen. Es muss zurückgenommen werden, wie auch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe usw.. Aber man wundert sich trotzdem. Als das Lohndumpinggesetz noch nicht verabschiedet war, hat die DGB-Führung öffentliche Protestaktionen mit der Begründung eingestellt, dass die gröbsten Klötze weg seien. Das hat die Verabschiedung der Lohndumping-Agenda in der jetzigen Form mit ermöglicht. Die Gewerkschaftsmitglieder im Bundestag haben es ebenfalls ermöglicht. Ihnen war es lieber, die Regierungsverantwortung für Sozial- und Lohnabbau selbst zu übernehmen und die Sozialpartnerschaft mit dem Kapital zu pflegen, als die Interessen der LohnarbeiterInnen zu vertreten.

Wegen des Angriffs auf die Tarifautonomie gab es Streiks, wegen des Versuchs, mit Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich die Löhne zu senken, ebenfalls. Wegen dieses "Programms zur massiven Lohnsenkungen", genannt Agenda 2010, gibt es bis jetzt keine Streiks.

Der Bundestag hat ferner beschlossen: wenn Arbeitslose keine Stelle auf dem Arbeitsmarkt bekommen, dann sind sie verpflichtet, Gemeinnützige Arbeit bei Kommunen zu verrichten. Man rechnet mit rd. 200.000 zusätzlichen Gemeinnützigen Arbeitern.

Auch die Verpflichtung zur kommunalen Zwangsarbeit greift das gegenwärtige Tarifsystem an. Die bankrotten Kommunen werden sich über die Jobcenter an billiger Arbeitskraft für Schwimmbäder, Grünanlagen usw. bedienen und tariflich Beschäftigte abbauen.

Das macht überhaupt keiner zum Thema. Alle haben dem zugestimmt. Wo sind hier Proteste? Bis jetzt hört man auch von ver.di kaum etwas.

 

Wenn sich also Arbeitslose gegen Kürzungen, Zwang zu Lohndumping und gegen kommunale Zwangsarbeit wehren, treten sie auch für die Beschäftigten ein. Sie kämpfen nicht für eine bequemere soziale Hängematte. Das Faulheitsgeschrei nimmt gerade in der Krise zu, um Beschäftigte und Arbeitslose zu spalten. (vgl. die Argumentationsbroschüre "Sind Arbeitslose faul?", die im Januar 2004 für 3 Euro im Fachhochschulverlag erschienen ist.)

 

Es muss Ziel der Lohnabhängigen werden, für gesetzliche Mindestlöhne einzutreten, die über dem jetzigen Sozialhilfeniveau, d.h. über dem Existenzminimum liegen. Der Frankfurter Appell gegen Sozial- und Lohnabbau macht das klar. ver.di hat das verdienstvollerweise ebenfalls ins Gespräch gebracht.

Wie ist die Lage? Das Kapital will die Sozialhilfe senken und damit die Lohnuntergrenzen im Tarifsystem. Dann sollen verstärkt staatliche Lohnsubventionen gezahlt, um die Hungerlöhne aus Steuermitteln bis zu einem gewissen Lohn aufzustocken, der dann faktisch ein Mindestlohn ist. Diesen Weg hat die Agenda 2010 zaghaft beschritten. Eine Negative Einkommenssteuer einzuführen, d.h. automatische Zahlungen des Finanzamts an Niedriglöhner, ist das strategische Ziel des Kapitals. Löhne flächendeckend senken und aus Lohn- und Mehrwertsteuer bis zu einem Mindestlohn aufstocken. Das Kapital tritt also indirekt für subventionierte gesetzliche Mindestlöhne ein. Die allerdings sollen unter dem Existenzminimum liegen. Und die Lohnsubventionen sollen aus Lohnsteuern oder aus Mehrwertsteuern bezahlt werden, die man u.a. von Arbeitslosen und RentnerInnen kassiert.

Wenn schon Subventionen für gesetzliche Mindestlöhne, dann müssen sie aus den Gewinnsteuern aller Unternehmen bezahlt werden.

Arbeitgeberpräsident Hundt bezeichnet gesetzliche Mindestlöhne als Angriff auf Tarifautonomie, ebenso Schröder. Sie lehnen sie ab, weil sie den Fall der Löhne nach unten nicht bremsen wollen. Deshalb redet auch die Financial Times Deutschland von "ökonomischer Unvernunft", eben weil es unvernünftig ist, mit Lohnsteigerungen die Profite zu schmälern. Gesetzliche Mindestlöhne heben das Lohnniveau und senken es nicht, wie Koll. Wiesehügel meint. Oder wehrt sich Hundt etwa gegen Lohnsenkungen, wenn er gegen Mindestlöhne ist? Natürlich kann man einer Bundesregierung, die das Lohndumping organisiert, nicht die Festsetzung von Mindestlöhnen überlassen. Es müssen klare Forderungen aufgestellt werden, für die dann auch gekämpft werden muss. Ich persönlich könnte mir zehn Euro pro Stunde als Mindestlohn für Ungelernte vorstellen.

 

Am Bündnis zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen hängt vieles. Beschäftigte und Arbeitslose müssen vereint marschieren, nicht getrennt. Gesetzliche Mindestlöhne festigen dieses Bündnis. Ebenso die Forderung nach einem Mindesteinkommen für Erwerbslose, ohne Bedürftigkeitsprüfung, oberhalb der heutige Sozialhilfe. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe muss rückgängig gemacht werden. Wenn schon das Kapital für seine beschränkten Profitzwecke immer weniger Menschen braucht, dann sollen die Freigesetzten wenigstens anständig leben können.

 

 

II) Senkung der Lohnnebenkosten

Wenn das Niveau der Bruttolöhne abgesenkt wird, sinken auch die Einnahmen der Sozialversicherung. Die Senkung von Renten, Arbeitslosenunterstützungen usw. ist allein dadurch vorprogammiert.

Andererseits aber werden Lohnsenkungen auch durch die Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten gefördert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) verlangt die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge von jetzt 42% auf 35%, d.h. die Senkung aller Leistungen um 15-20%. Das erhöht die Profite des Kapitals. Wenn die Beiträge fallen, erzeugt das noch mehr Druck auf Renten, Gesundheitsleistungen usw.. Private Vorsorge, ob über Riester-Rente oder Zusatzversicherungen für Krankengeld und Zahnersatz sind ebenfalls Lohnsenkungen.

Auch beim Abbau der Sozialversicherung gibt es keine Schranke nach unten, es sei denn die arbeitenden Menschen setzen sie.

Denn die Ökonomen des Kapitals halten nicht nur die Löhne allgemein, sondern auch die SV-Beiträge für solange zu hoch, als es Arbeitslosigkeit gibt. Spirale nach unten.

Sozialabbau dient nicht der Rettung des Sozialstaates. Das mag man naiven, vertrauensseligen Menschen verkaufen können. Er bereitet nur weitere Kürzungen vor. Wichtigste Triebfeder ist das Interesse an Lohnsenkungen, um die Profite steigern zu können. Statt der versprochenen Arbeitsplätze sieht man nur die Entlassung von Zehntausenden in den Bereichen, die z.B. von der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung abhängen.

 

Die Senkung der Lohnnebenkosten ist das Ziel des Kapitals. Es kann kein gewerkschaftliches Ziel sein. Kollektive Beiträge zu zahlen für Zeiten, in denen die Ware Arbeitskraft nicht oder nicht mehr arbeiten kann, gehört zu den Reproduktionskosten der Arbeitskraft und damit zu den Lohnkosten dazu. Es sind keine Lohn"neben"kosten. Im begriff Lohnnebenkosten steckt schon, dass das Kapital nur die Kosten als Lohnkosten entstehen, die für die tatsächliche Arbeitszeit bezahlt werden.

Das Kapital verkauft Beitragssenkungen als Nettolohnerhöhung im Interesse der Arbeitenden. In Wirklichkeit verlieren die LohnarbeiterInnen als RentnerInnen, als Kranke und Arbeitslose, was sie durch eventuelle Beitragssenkungen gewinnen können.

 

Und zur Erinnerung: die LohnarbeiterInnen erarbeiten sich ihre Löhne selbst. Löhne beruhen nicht auf der Ausbeutung der Mildtätigkeit des "Faktors Kapital" durch die LohnarbeiterInnen. Umgekehrt: das Kapital vermehrt sich nur, weil LohnarbeiterInnen erheblich mehr Werte schaffen, als sie zum eigenen Lebensunterhalt brauchen.

 

Auch die Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten soll nach dem Willen des Kapitals mit Milliarden Euro Steuersubventionen aufgefangen werden. Heute schon stammen 40% der Arbeiterrenten aus Steuermitteln. Das Kapital braucht immer weniger Arbeiter und läßt sich vor allem die Arbeiterrenten staatlich subventionieren. Riester-Rente und Pensionsfonds werden ebenfalls staatlich subventioniert und schwächen gleichzeitig die Sozialversicherung.

Den Vogel würden die Kopfpauschalen in der Krankenversicherung abschießen, die mit 28 Mrd. Euro subventioniert werden müssten.

Das Kapital verlangt also immer mehr Subventionen für die Bezahlung der Ware Arbeitskraft, die es letztlich von den Lohnabhängigen selbst direkt oder über den Staat eintreiben will.

Die von den LohnarbeiterInnen erarbeiteten Gewinne dagegen will es weiterhin privat einsacken und dem Staat auch noch immer weniger Steuern davon zahlen.

Das Kapital spricht viel von Sozialschmarotzern, wir sollten mehr von Kapitalschmarotzern sprechen.

 

III) Steuersenkungen erfordern Ausgabenkürzungen.

Das Kapital will wachsende Teile des Lohns auf Steuern, d.h. auf Staat verlagern, entzieht aber gleichzeitig dem Staat systematisch die finanzielle Grundlage.

Allein die Ausfälle an Körperschaftssteuer (KSt), der Gewinnsteuer der Kapitalgesellschaft belaufen sich aufgrund der Senkung des KSt-Satzes auf 25% seit 2001 auf jährlich 20 Mrd. Euro. Wenn aber die Slowakei 19% und Irland nur 15% KSt-Satz verlangt, ist Deutschland natürlich nicht wettbewerbsfähig genug. Am Wettbewerbsfähigsten ist man offensichtlich bei Null % wie in den Sonderwirtschaftszonen Chinas. Überlegungen gehen ja dahin, in Ostdeutschland solche Biotope der Kapitalvermehrung einzurichten. Außerdem ist da noch die lästige Gewerbesteuer, die es in den meisten Ländern nicht gibt. Der BDI verlangt ihre Abschaffung.

 

Der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer (ESt) soll im Namen der Steuergerechtigkeit ebenfalls auf 25% verringert werden. Der Mittelstand fühlt sich gegenüber den Konzernen ungerecht behandelt.

Alle Gewinnsteuersenkungen erzwingen weiteren Sozialabbau sowie Personal- und Lohnabbau beim Staat. Und das wiederum soll Luft schaffen für weitere Gewinnsteuersenkungen.

 

Gewinnsteuersenkungen erzwingen auch höhere Gebühren für staatliche Leistungen. Steuern werden durch immer mehr Gebühren ersetzt. Diese bereiten die weitgehende Privatisierung aller staatlichen Leistungen vor und ihre Verwandlung in Waren.

Je mehr die Lohnabhängigen wiederum für Bildung, Kinderbetreuung, Nutzung öffentlicher Infrastruktur zuzahlen müssen, desto mehr fällt ihr Reallohn. Das senkt ebenso wie der Druck auf die Bruttolöhne, die Senkung der Lohn"neben"kosten den Lebensstandard. Nicht zu vergessen die Ausdehnung der unbezahlten Mehrarbeit.

Die Senkung der Gewinnsteuern wird als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vermarktet, weil der Steuerverzicht angeblich die Investitionstätigkeit fördert. Auch hier handelt es sich um die übliche Desinformation. Die Gewinnsteuern sind in den letzten 25 Jahren um die Hälfte gefallen. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen (eben wegen des technischen Fortschritts, der Krisen und des Umstands, dass sich menschliche Fähigkeiten im Wesentlichen nur in Form des Verkaufs der Arbeitskraft als Ware verwirklichen können, an deren Nutzung ein Privateigentümer verdient. Besonders ab 2001 fielen die Investitionen der Kapitalgesellschaften in den Keller, von 66 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf 17 Mrd. Euro im Jahr 2002. Die Arbeitslosigkeit stieg.

Die Steuerreform dient ausschließlich der Steigerung der Nettoprofite und der Nettoprofitraten. Fördern, ohne zu fordern, ist hier die Devise des Kapitals und seiner Politiker gegenüber sich selbst.

Das wird als Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit verkauft. Und ist es auch. Aber wenn wir uns auf diese Logik einlassen, dann müssen die LohnarbeiterInnen für Lohnsenkungen, Sozialabbau und weitere Gewinnsteuersenkungen kämpfen, um die Wettbewerbsfähigkeit noch weiter zu steigern. Es kann nicht unser Ziel sein, dass wir bei wachsendem gesellschaftlichem Reichtum und enorm steigender Produktivität verarmen.

 

Mit der Zustimmung zu Gewinnsteuersenkungen bekämpfen wir uns selbst. Aber die DGB-Führung hat der Senkung der Körperschaftsteuer ab 2001 zugestimmt und der Senkung der Spitzensteuersatzes jetzt wieder. Im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals.

Die LohnarbeiterInnen müssen die Rücknahme der Gewinnsteuersenkungen fordern, nicht nur die Rücknahme der Abschaffung der Vermögenssteuer.

 

Zweck Bekämpfung der Arbeitslosigkeit?

Senkungen der Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe, Lohnabbau, Senkung der Lohn"neben"kosten, Gewinnsteuersenkungen dienen nicht der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern ausschließlich der Steigerung der Profite.

Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit hängt nämlich nicht in erster Linie von den Löhnen, sondern von der Entwicklung der Produktivität ab. Das Kapital braucht immer weniger Menschen für seinen beschränkten Zweck, sich rentabel zu vermehren.

Die Arbeitslosigkeit steigt besonders in Wirtschaftskrisen. Und die gibt es deswegen, weil das Wirtschaftssystem einen Konstruktionsfehler hat. Es produziert notwendigerweise immer wieder mehr Waren, als es verkaufen und immer wieder mehr Kapital, als es rentabel verwerten kann. Überkapazitäten und Überproduktion müssen in Krisen in einem gewissen Zyklus vernichtet werden.

Was ist das für ein blödsinniges System, in dem der technische Fortschritt nicht zu steigendem, sondern zu sinkendem Lebensstandard der Masse der LohnarbeiterInnen führt!

 

 

IV) Sinkende Steuern und sinkende Reallöhne bei steigenden Gewinnen

1980 betrugen die Unternehmensgewinne der Kapitalgesellschaften rd. 70 Mrd. Euro., 1991 waren es 190 Mrd. Euro, im Jahr 2002 314 Mrd. Euro. (Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, 543)

In der Krise 1992/1993 sanken die Unternehmensgewinne aller Kapitalgesellschaften noch, wie in Krisen üblich. Im Krisenjahr 2002 jedoch lagen sie über 10% höher als im Jahr des Aufschwungs 2000.

 

Wo ist also das Problem?

Trotz steigender Unternehmensgewinne hat das Kapital ferner erhebliche Steuersenkungen durchgesetzt. 1980 betrug die Steuerbelastung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen der Kapitalgesellschaften und der Selbständigen noch 33,3%, im Jahr 2000 waren es nur nur 21,7%. Mit der Steuerreform 2001 sank der effektive Steuersatz 2002 dagegen auf sagenhafte 12,8%. (eigene Berechnung, Roth, Nebensache Mensch, Frankfurt 2003,470)

 

Wäre der effektive Steuersatz 2002 genauso hoch gewesen wie 1980, wären 90 Mrd. Euro mehr in den Staatskassen gewesen.

Hier haben wir die Hauptursache der Löcher des Staatshaushalts und der Staatsverschuldung. Indem das Kapital sich immer mehr aus Steuerzahlungen verabschiedet, zeigt es, dass es keine soziale Verantwortung kennt. Verantwortung für uns müssen wir schon selbst übernehmen.

 

Die LohnarbeiterInnen zahlten 1980 im Durchschnitt 18,1% Lohnsteuern, 2000 dagegen waren es 19,3% und 2002 18,7%. (eigene Berechnung anhand Monatsberichte Bundesbank, Lohnsteuern im Verhältnis zur Bruttolohn- und Gehaltssumme.) Sie zahlten also mehr Steuern als 1980 und inzwischen sogar erheblich mehr als die effektiven Steuersätze der Kapitalgesellschaften.

 

Wieso gibt es trotz steigender Gewinne, steigenden Nationaleinkommens usw. einen solchen Druck auf Steuern und Löhne?

 

1) Wir haben das merkwürdige Phänomen, dass sich trotz steigender Gewinne die Rentabilität verschlechtert.

Rentabilität (oder Rendite, Profitrate) ist das Verhältnis der Gewinne zum investierten Kapital. Dieses Verhältnis ist letztlich entscheidend, nicht die absolute Höhe der Profite.

Der Sachverständigenrat hat auch in seinem jüngsten Jahresgutachten festgestellt, dass immer mehr Kapital investiert werden muss, um die gleiche Summe an Gewinnen, Löhnen und Abschreibungen, also diegleiche Summe an sogenannter "Bruttowertschöpfung" zu erwirtschaften. Er bezeichnet das als sinkende "Kapitalproduktivität". (SVR 2003, 415) 1991 betrug die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe 464 Euro pro 1000 Euro Kapitalstock, 2000 waren es nur noch 427 Euro. (Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen 2001, Wiesbaden 2002, 81) Die sinkende "Kapitalproduktivität" deutet indirekt auf sinkende Rentabilität hin, auf die Verschlechterung der Kapitalverwertung hin.

Heute ist die Rentabilität in der Gesamtwirtschaft niedriger als 2000, erheblich niedriger als Ende der 90er Jahre und noch wesentlich niedriger als Anfang der 70er Jahre. Und genau das ist der Grund dafür, warum die Investitionstätigkeit erlahmt, warum sich riesige Kapitalüberschüsse auftürmen, die an den internationalen Finanzmärkten für Wetten eingesetzt werden, die in gewerbliche Immobilien als Renditeobjekte fließen, die Verschuldung von Staat, Unternehmen und Privathaushalten überall hochtreiben, und die ins Ausland fließen, weil sie im Inland nicht mehr rentabel genug angelegt werden können. (vgl. Roth, Nebensache Mensch, 239-277)

 

Dass die sog. Kapitalproduktivität langfristig sinkt, gilt für alle Länder der OECD (Organization for Economic Cooperation and Development), also auch für die wichtigsten Industrieländer wie Japan, USA, Großbritannien, Frankreich usw., wenn auch ungleichzeitig. D.h. Ob Löhne, Sozialleistungen oder Gewinnsteuern hoch oder niedrig sind: die Verwertung des Kapitals verschlechtert sich langfristig. Das ist das Grundproblem des Kapitalismus, das er selbst erzeugt.

Die Konkurrenz des Kapitals untereinander verschärft das Problem, denn weltweit sucht jedes Kapital nach Möglichkeit die rentabelste Anlage. Auf diesem Boden werden auch die kleinen und mittleren Unternehmen nach und nach durch Banken und Konzerne ruiniert bzw. geschluckt.

Die Profitraten fallen tendenziell, weil

* aufgrund des technischen Fortschritts immer mehr Menschen durch Maschinen und Anlagen ersetzt werden. Es wird immer mehr Kapital investiert, aber die Zahl derjenigen, die die Gewinne erwirtschaften, nimmt relativ dazu ab.

* immer mehr Waren erzeugt werden, gleichzeitig aber immer mehr Menschen vom Kapital freigesetzt und nicht mehr oder nur noch zu erheblich geringeren Löhnen beschäftigt werden können. Das erschwert den Verkauf der Waren und damit die Realisierung der Profite. Außerdem führt dieser Widerspruch zu periodischen Krisen, in denen sich der Fall der Profitraten durchsetzt.

(nähere Erläuterungen Roth, Nebensache Mensch, Frankfurt 2003, 218-232)

 

Die langfristig weltweit gesunkenden Steuersätze zeigen, ebenso wie die langfristig gesunkenen Zinssätze indirekt die gesunkenen Profitraten an. Denn Steuern und Zinsen werden aus Gewinnen gezahlt und die entsprechenden Prozentsätze der Steuer- und Zinssätze sind nicht unabhängig von den den Prozentsätzen der Profitraten. Da die durchschnittlichen Profitraten sich in den letzten 30 Jahren halbiert haben, ist der Druck darauf, Zinssätze und Steuersätze ebenfalls mindestens zu halbieren, objektiv gegeben. Langfristig gesunkene Zinssätze und Krisen verschlechtern natürlich auch die Rentabilität der Banken. Deren Profitraten werden in hohem Maße durch die Überproduktion an Kapital gebeutelt. Banken besitzen Aktienbeteiligungen, deren Werte in der Krise stark gefallen sind, sie haben Milliarden-Kredite vergeben, die aufgrund von Unternehmensbankrotten und Zahlungsunfähigkeiten nicht mehr rückgezahlt werden können, sie haben in Immobilien investiert, deren Preise gefallen sind usw..

 

2) Die Krise ab 2001 hinterläßt ihre Spuren auch in den Bilanzen.

Die in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung angezeigten Gewinne sind die Gewinne aus dem laufenden Geschäft, dem sogenannten "operativen Geschäft". Die VGR berücksichtigt nur die Wertschöpfung, nicht dagegen z.B. Wertberichtigungen (Korrekturen von Werten nach unten z.B. aufgrund fallender Aktienkurse, sinkender Immobilienpreise oder Abschreibungen auf Forderungen, wenn Kredite nicht mehr rückgezahlt oder Lieferungen nicht bezahlt werden können.

Diese Wertberichtigungen führten aber in der Krise 2001 bis heute zu massiven Verlusten, die den zu versteuernden Gewinn erheblich minderten. Denn der zu versteuernde Gewinn ist nicht identisch mit dem Gewinn aus dem laufenden Geschäft. Die Verluste summieren sich zu sogenannten Verlustvorträgen, die mit den aktuellen Gewinnen steuerlich verrechnet werden können. Die Verlustvorträge z.B. aller 30 Dax-Unternehmen addierten sich von 2000 32 Mrd. Euro auf 100 Mrd. Euro in 2002. (Lorenz Jarass, Gustav M. Obermaier, Geheimnisse der Unternehmenssteuern Eine Analyse der DAX30-geschäftsberichte 1996-2002 unter Berücksichtigung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, Marburg 2004) Die Verlustvorträge mindern den zu versteuernden Gewinn. Der ausgewiesene Gewinn stimmt nicht mit dem zu versteuernden Gewinn überein.

Die massiven Steuersenkungen und die dadurch erzwungenen Sparpakete der Regierungen fangen also die Folgen der Finanzkrise auf, die durch die verrückte, ineffiziente Überproduktion an Kapital erzeugt wurde. Das Kapital zieht sich im krisen selbst den Boden unter den Füßen weg und versucht, sich an den LohnarbeiterInnen dafür schadlos zu halten. Deshalb beschimpft es sie, wenn sie sich dem nicht fügen wollen und erklärt, dass es keine Alternative gibt.

Um die Aktionäre für die Verluste zu entschädigen, erhöhten die Kapital- und Personengesellschaften ausgerechnet in der Krise 2001 und 2003 ihre Ausschüttungen an Dividenden und ihre privaten Entnahmen insgesamt um rd. 50 Mrd. Euro gegenüber 2000. (Jarass, Obermaier 2004, 60) Sie schütteten also den Steuerverzicht des Staates an die Aktionäre aus, während sie von Bekämpfung der Arbeitslosigkeit faselten. Mit der Steuerreform linderte die SPD-Grünen-Regierung den unendlichen Frust der Aktionäre über ihre Aktienkursverluste am Roulett-Tisch des Marktes.

Die massiven Steuersenkungen kamen insbesondere den Banken und Versicherungen zu gute, denn im Gegensatz zu den nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften sanken ihre Unternehmensgewinne in der Krise und zu versteuernden Gewinne fielen aufgrund massiver Wertberichtigungen teilweise ins Bodenlose. Besonders die Renditen der Finanzkonzerne standen unter Druck.

 

Die langfristige Tendenz zu sinkender Rentabilität, besonders in Krisen, führt für das Kapital und alle, die seine Bedürfnisse befriedigen, zu dem Zwang, dieses Problem auf Kosten der Gesellschaft als Ganzer zu lösen. Vor allem mit Lohnabbau und dem damit verbundenen Sozialabbau, aber auch mit Hilfe von Gewinnsteuersenkungen. Deshalb ertönt gerade in Krisen der Ruf Lohnsenkungen und nach Steuersenkungen.

 

V) Was das Kapital an Lohn- und Sozialabbau und an Gewinnsteuersenkungen durchsetzen kann, ist natürlich letztlich eine Frage der Kräfteverhältnisse, ist auch eine politische Frage.

Wenn der Wettbewerb die Ursache der Probleme wäre, dann müsste die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden.

Betriebe müssten gegen Betriebe antreten, Belegschaften gegen Belegschaften, Nationen gegen Nationen und die EU gegen die USA. Die LohnarbeiterInnen müssten sich untereinander bekämpfen. Genau das ist das Ziel der Agenda 2010, die deshalb Agenda 2010 heißt, weil alle EU-Staaten beschlosen haben, bis 2010 die USA einzuholen und zu überholen.

Aber: die Wettbewerbsfähigkeit steigt mit den Profitraten und die steigen, je länger wir arbeiten, je geringer der Lohn, je geringer die Rente, je schlechter die Gesundheitsversorgung usw. ist. Mehr arbeiten für geringeren Lebensstandard: das kann nicht unser Ziel sein.

 

Die mangelnde Konkurrenzfähigkeit kann nicht die Ursache der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands sein. Weltweit ist die Arbeitslosigkeit seit der Weltwirtschaftskrise 1975 gestiegen, nicht nur in Deutschland. In den USA ist die Arbeitslosigkeit trotz niedriger Löhne und Sozialleistungen mindestens so hoch wie in Deutschland. Sie ist nur statistisch weggerechnet. Einzelne Länder können sich dem Sog nach unten zeitweise entziehen, in dem sie sich Vorteile auf Kosten anderer Länder verschaffen. Aber Länder, die uns als Vorbilder vor die Nase gehalten werden, fallen irgendwann zurück, weil ihr Vormarsch in Krisen endet. Sei es das Japan der 80er Jahre, die südostasiatischen "Tiger"staaten in den 90er Jahren, dann die USA der 90er Jahre. China steuert gerade wegen seiner rasanten Wachstumsraten auf eine tiefe Überproduktions- und Finanzkrise zu. Letzte Ursache der Probleme ist in allen Ländern die Kapitalverwertung, die sich in jedem Land auf Dauer ihre Basis selbst tatkräftig untergräbt.

 

Wenn die LoharbeiterInnen einen selbständigen Standpunkt einnehmen, ohne Rücksicht auf die Profitraten, können sie die Abwärtsbewegung am ehesten bremsen bzw. abmildern. Die Jäger nach Profitraten nehmen keine Rücksicht auf uns. Frage ist also, ob die LohnarbeiterInnen Rücksicht auf das Kapital nehmen sollten.

 

Es geht nicht um eine neue Volksgemeinschaft, ein enges Bündnis der LohnarbeiterInnen mit dem Kapital, um die Profitraten in Deutschland oder der EU gegenüber der USA oder wem auch immer zu steigern. Es geht um ein nationales und internationales Bündnis aller Lohnabhängigen, Arbeitslosen, RentnerInnen, Studierenden und Schüler gegen das Kapital

Die LohnarbeiterInnen sollten genauso rücksichtslos wie die Arbeitgeber ihre eigenen Interessen formulieren und langfristige Ziele aufstellen, die der Richtung des Kapitals entgegengesetzt sind. Letztlich können wir nur auf einer solchen Basis verteidigen.

 

 
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Stand:12. Dezember 2012