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Rainer Roth

Nebensache Mensch - Arbeitslosigkeit in Deutschland

attac Wiesbaden, Veranstaltung vom 02.10.2003

 

 

Oli Kahn wurde neulich kritisiert, dass er zu viele Tore kassiere und keine Schüsse mehr halten würde, die unhaltbar sind. Daraufhin sagte er:" Wer dem Erfolg, also dem Geldverdienen, im Wege steht, ist weg. So ist das Geschäft. Kapitalismus pur." (FR 26.09.2003) Nun, er hat sowieso ausgesorgt, wenn er als Torwart dem Geldverdienen im Wege steht. Aber was ist mit den anderen?

 

Steigende Produktivität - steigende Arbeitslosigkeit

Für's "Geschäft" brauchte die Industrie in Deutschland 1991 noch 9,2 Mrd. Arbeitsstunden. Zehn Jahre später nur noch 6,2 Mrd. Stunden. (Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, 461)

Ein Drittel weniger Arbeitsstunden: eine phantastische, an sich erfreuliche Tatsache. Das sinkende Arbeitsvolumen drückt vor allem die rasant gestiegene Produktivität aus. Die Zeit, in der Produkte hergestellt werden, sinkt aufgrund der technischen Revolution rasch.

Das ist die objektive Grundlage, um endlich auch die Arbeitszeit für alle drastisch zu verkürzen. Aber wir sehen das Gegenteil: die tatsächliche Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten wurde von 1991 bis 2000 von 1.604 Jahresarbeitsstunden auf 1.640 Jahresarbeitsstunden verlängert. (IG Metall - Report 2001, 34) Das hat die Arbeitslosigkeit erhöht.

 

.... vor allem von ArbeiterInnen

2,5 Millionen Beschäftigte der Industrie wurden von 1991 bis 2001 abgebaut. 80% von ihnen waren Arbeiterinnen und Arbeiter. Arbeitslosigkeit ist v.a. ein Arbeiterproblem. 2/3 aller Arbeitslosen sind Arbeiter. Die Arbeitslosenquote der Arbeiter lag im Jahr 2001 in Westdeutschland bei 15,6%, die der Angestellten dagegen war nur halb so hoch (7,7%). (Eigene Berechnungen) Kapitalismus pur. Die überflüssig gewordenen ArbeiterInnen wurden vielfach in die Arbeitslosigkeit oder in die Rente abgeschoben. Sie standen dem Geldverdienen im Wege und waren weg.

Abe die Nachfrage nach Arbeitskraft sinkt nicht nur in der Industrie, sondern auch in anderen Bereichen der Wirtschaft (Banken, Versicherungen, Handel usw.) Die offizielle Arbeitslosigkeit stieg insgesamt von 2,6 Millionen im Jahr 1991 auf 3,9 Millionen im Jahr 2000.

Unter der Regie des Kapitals führt die steigende betriebliche Produktivität auf längere Sicht zu steigender Arbeitslosigkeit, d.h. zu steigender volkswirtschaftlicher Unproduktivität und Ineffizienz. Die steigende Arbeitslosigkeit wiederum wird genutzt, um den Arbeitsstress der Beschäftigten zu erhöhen und ihre Arbeitszeit zu verlängern.

 

Steigende Produktivität - Ausbruch von Krisen

Im Jahr 2000 gab es offiziell 3,9 Mio. Arbeitslose. 2003 werden es wahrscheinlich 4,4 Mio. sein. Nicht gerechnet die Hunderttausende, die aus der Statistik gekickt worden sind. Warum stieg die Arbeitslosigkeit seit 2001 so rasch?

Auch das ist eine Folge der Steigerung der Produktivität unter der Regie des Kapitals.

Um möglichst viel Profit zu machen, wird dehnt jedes Unternehmen die Produktion so stark aus wie irgend möglich. Mehr Autos, Handys, Computer usw. werden auf den Markt geworfen. Je mehr Waren die Einzelkapitalien in Konkurrenz zueinander für unbekannte Märkte produzieren, je größer ist die Aussicht auf Profit. Produktion um der Produktion willen. Wachstum um des Wachstums willen, ist die Devise. Das treibt die Produktion immer wieder über die zahlungsfähige Nachfrage hinaus. Und zwar unabhängig davon, wie hoch die Lohnsteigerungen waren. Es bricht eine Krise aus. Starke Lohnsteigerungen können den Ausbruch einer Krise allenfalls hinausschieben, nicht verhindern.

Es ist eine Krise des Überflusses, nicht des Mangels. Es ist "zu viel" investiert worden, nicht zu wenig. Es ist mehr produziert worden, als gekauft werden kann. Es gibt "zu viel" Kapital.

Kapital, das sich aufgrund von Überkapazitäten und Überprodukton nicht mehr rentabel verwerten lässt, wird vernichtet. Arbeitskräfte werden stillgelegt, weil sie zu produktiv sind.

Die Arbeitskräfte waren "zu fleißig", nicht etwa zu faul. Ihr Fleiß ist zur Gefahr für die Kapitalverwertung geworden. Deshalb steigt die Arbeitslosigkeit in der Krise seit 2001 wieder stark an. Arbeitslosigkeit ist also eine Folge der Logik der Kapitalverwertung.

Was wäre vom Standpunkt der LohnarbeiterInnen aus notwendig?

Erstens: Diejenigen, die Arbeitslosigkeit und Krisen verursachen, sollen auch für ihre Folgen aufkommen. So wie jemand, der einen Unfall verursacht, auch für die Schäden aufkommen muss.

Wenn also die Sozialversicherungen und die Staatsfinanzen aufgrund dieser Entwicklungen in die Krise geraten, dann sollte ein größerer Teil der Gewinne herangezogen werden, um die Krisen zu beheben, und nicht ein größerer Teil der Löhne. Und die Freigesetzten sollten, wenn sie schon nicht gebraucht werden, auch anständig leben können.

Zweitens: Massive Arbeitszeitverkürzung wäre notwendig, und das bei vollem Lohnausgleich.

 

 

Offizielle Diagnose: Die LohnarbeiterInnen sind schuld

Die offizielle Diagnose und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen laufen in eine völlig andere Richtung. Die Agenda 2010 soll "ein Beitrag (sein), längerfristig - entsprechend den Zielvorgaben der beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Union - in Deutschland wieder Vollbeschäftigung zu erreichen ..." (Eckpunkte für ein Drittes und Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, nach Info also 4/2003, 182)  Die Agenda 2010 richtet sich mit voller Wucht gegen die LohnarbeiterInnen, seien sie beschäftigt, arbeitslos oder in Rente. Denn sie und ihre Besitzstandsansprüche sollen an der wachsenden Arbeitslosigkeit und an der Krise schuld sein, nicht das Kapital.

 

Das Kapital, das die Arbeitslosigkeit letztlich verursacht, soll mit der Agenda 2010 gestärkt werden. Weil hohe Bruttolöhne und "Lohnnebenkosten" die Gewinne zu stark vermindern, rentiert es sich angeblich zu wenig, Leute zu beschäftigen. Um die Gewinne zu erhöhen, müssten Löhne und Lohnnebenkosten gesenkt werden. Um das zu erreichen, müssen wiederum Arbeitslosenunterstützungen und Sozialhilfe gesenkt werden. Die Sozialausgaben des Staates wiederum müssten auch deswegen gesenkt werden, damit die Gewinnsteuern weiter gesenkt werden können. Denn diese seien ebenfalls für "zu niedrige" Gewinne verantwortlich.

Im Gegenzug wird uns versprochen, dass dadurch Beschäftigung neu aufgebaut wird, die Arbeitslosigkeit nachhaltig sinkt, der Sozialstaat nachhaltig gesichert wird und endlich wieder das Wachstum das tut, was es muss, nämlich wachsen.

Allen, die heute bluten müssen, soll es nach diesen harten Operationen in Zukunft wieder deutlich besser gehen, wie es eben nach Operationen immer der Fall ist.

 

Was aber, wenn es umgekehrt ist? Was aber, wenn es nicht um den Wohlstand für alle, sondern nur den für wenige geht. Wenn es ausschließlich darum geht, dass sich das Kapital selbst aus seiner Krise retten will, in dem es die Lage der Masse der LohnarbeiterInnen dauerhaft verschlechtert?

 

Ist die Arbeitslosigkeit Folge zu hoher Löhne?

Michael Rogowski, Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Industrie: "Der Preismechanismus, das zentrale Steuerungselement in einer Marktwirtschaft, funktioniert auf dem Arbeitsmarkt nur unzureichend. Anders ist das starke Auseinanderklaffen von Arbeitsangebot und -nachfrage nicht zu erklären." (FR 09.06.2001)

Wenn es also weniger offene Stellen und mehr Arbeitslose gibt, soll das daran liegen, dass die Löhne (=Preis der Ware Arbeitskraft) zu hoch sind.

Der Preismechanismus funktioniert nicht, heißt:

Solange es Arbeitslosigkeit gibt, bedeutet das: Die Löhne müssen solange gesenkt werden, bis niemand mehr arbeitslos ist.

Eine gegenüber den LohnarbeiterInnen und ihren Bedürfnissen völlig rücksichtslose Ansicht. Die Bedürfnisse von Menschen sind völlig nebensächlich gegen dem Zweck der Kapitalverwertung. Löhne sollen in Kapital verwandelt werden. Das soll die Krise lösen. Wenn Vollbeschäftigung angeblich nur mit Lohnsenkungen zu erreichen ist, fragt sich, um wieviel Prozent die Löhne bis 2008 sinken müssten. Für 2008 hat Superminister Clement die Vollbeschäftigung in Aussicht gestellt. Vor einigen Jahren meinte Norbert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, die Vollbeschäftigung sei mit einer allgemeinen Lohnsenkung von 20-30% zu erreichen. Andere Ökonomen meinen, dass damit die Arbeitslosigkeit allenfalls halbiert werden könne. Mit diesen "Visionen" des Kapitals korrespondiert die weitverbreitete Ansicht, dass die Sozialhilfe um 30 bis 50% gekürzt werden müsse.

Wenn Rürup sagt:"Die Sozialabgaben sind die Achillesferse des Arbeitsmarktes," (FR 22.09.2003) ist das nur eine Variante der "Theorie", dass zu hohe Löhne die Arbeitslosigkeit verursachen. Die Sozialabgaben, d.h. die Beiträge zur Sozialversicherung und entsprechend ihre Ausgaben für Renten, Gesundheitsversorgung, Arbeitslose und Pflegebedürftige müssen so lange gesenkt werden, bis Vollbeschäftigung erreicht wäre.

 

Aber:

Erstens nutzt das Kapital die technischen Revolution, um ununterbrochen Arbeitskräfte freizusetzen. Völlig unabhängig von der Höhe der Löhne. IndustriearbeiterInnen wären im Zyklus von 1991 bis 2000 auch dann massenhaft überflüssig geworden, wenn sie auf 30% Lohn verzichtet hätten und die Sozialversicherungsbeiträge gefallen wären.

 

Zweitens sind die Lohnstückkosten entscheidend. Diese messen das Verhältnis der gesamten Lohnkosten, einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall usw. zum Umfang der erzeugten Werte, also das Verhältnis der Lohnkosten z.B. pro 1 Mio. Euro erzeugtem Inlandsprodukt. Die Lohnkosten pro Werteinheit, also die Lohnstückkosten, sind in den 90er Jahren in der Industrie erheblich gesunken. Das ist auch kein Wunder, denn mit einem Drittel weniger Arbeitsstunden konnte der Umsatz um mehr als ein Viertel gesteigert werden.

Die Lohnstückkosten sanken und gleichzeitig wurde ein Viertel der Industriebeschäftigten entlassen. Die steigende industrielle Produktivität drückt sich unter der Regie des Kapitals also langfristig sowohl in steigender Arbeitslosigkeit, als auch in sinkenden Lohnstückkosten aus.

Löhne bzw. die sogenannten Lohnnebenkosten zu beschneiden kann also gar kein Mittel sein, um in der Krise die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Es ist vor allem ein Mittel, die Profite des Kapitals zu erhöhen.

 

Steigende Produktivität führt dazu, dass die Profitraten in der Tendenz fallen

Warum ist es so notwendig, die Profite zu erhöhen. Sind sie nicht schon hoch genug?

Die steigende Produktivität führt nicht nur zu einer wachsenden Existenzunsicherheit der LohnarbeiterInnen, sondern merkwürdigerweise auch zu tendenziell fallenden Profitraten.

Denn die Zahl derjenigen, die Mehrwert produzieren, nimmt mit wachsender Produktivität ab. Andererseits nimmt das in Maschinen und Sachanlagen angelegte Kapital zu, das selbst keinen Mehrwert erzeugen kann, sondern nur seinen Wert auf die Produkte übertragen kann.

Profitraten drücken das Verhältnis des Mehrwerts (Profits) zum insgesamt investierten Kapital aus. Wenn der Mehrwert relativ zum investierten Kapital fällt, fallen die Profitraten. Das ist nach Untersuchungen der OECD in den letzten Jahrzehnten in allen Industrieländern der Fall gewesen. Auch in den Ländern wie den USA, in denen die Löhne so erfreulich niedrig, die Sozialversicherungsbeiträge minimal, die Arbeitslosenunterstützungen nicht einmal für die Miete reichen und Sozialhilfe für Arbeitslose unbekannt ist.

Das die Profitraten fallen und warum und wie das Kapital darauf reagiert, habe ich in meinem Buch ausführlich erläutert. (Nebensache Mensch, Frankfurt 2003)

In Krisen bricht nun die Tendenz des Falls der Profitraten auf neue Tiefpunkte jeweils durch.

 

Es geht also dem Kapital in Krisen wie der jetzígen vor allem darum, dem Fall seiner  Profitraten entgegenzuwirken. Das erklärt die überfallartige Aggressivität der Bundesregierung, die sich unter dem Druck der Krise zu immer härteren Schritten gegen die LohnarbeiterInnen entschließt.

Das Kapital macht "zu hohe" Löhne für die Arbeitslosigkeit verantwortlich, weil es sie im Interesse seiner Profitraten senken will. Also auch die Bundesregierung und ihr Sachverständigenrat.

Das Kapital macht "zu hohe" Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitslosigkeit verantwortlich, weil es sie im Interesse der Erhöhung seiner Profitraten senken will. Also auch die Bundesregierung. Die CDU und ihre Herzog-Kommision möchte die Beiträge insgesamt von heute 42% auf 25% des Bruttolohns senken. Jeder Prozentpunkt gibt 7,5 Mrd. Euro mehr Gewinn. Dazu müssten die Ausgaben der Sozialversicherung für Renten und Gesundheit um 40% gesenkt werden.

Das Kapital macht "zu hohe" Gewinnsteuern verantwortlich, weil es sie im Interesse seiner Nettoprofitraten senken will. Folglich will es sie mitten in der Krise senken, obwohl der Staat auf dem letzten Loch pfeift. Die CDU strebt einen einheitlichen Gewinnsteuersatz 25% an. Kirchhof-Kommission. Je stärker die Steuersenkungen, desto mehr Ausgaben müssen eben gekürzt werden. Koch und Steinbrück treiben in Wiesbaden und Düsseldorf bei Sozialleistungen und Personal die Milliarden ein, die die große Koalition aus SPD und CDU in Berlin dem Kapital und den Reichen an sensationellen Steuersenkungen zugeschoben hat.

Das alles wird als alternativlos und als Allgemeininteresse verkauft, damit die Interessen einer Minderheit gegen die Mehrheit durchgesetzt werden können.

 

Fünf Propagandasprüche

Zahlreiche Propagandasprüche dienen der dazu notwendigen Desinformation. Sie stehen auf dergleichen Stufe wie die angeblichen Massenvernichtungsmittel, mit denen Bush den Krieg gegen den Irak für notwendig erklärt hat, um die Menschheit vor dem Terrorismus zu bewahren. Dabei ging es letztlich darum, den "Tresor" Irak für das US-Kapital zu knacken, besonders für die Ölkonzerne.

 

a) Die demografische Entwicklung ist schuld an Krise der Rentenversicherung

Zu Kürzungen bei Rentenversicherung zwingt uns angeblich die demografische Entwicklung.

Was ist das? Die Bundesanstalt für Arbeit definiert sie als Trend, "dass mehr ältere Menschen aus dem Erwerbsleben scheiden als junge nachrücken." (Arbeitsmarktstatistik 2002, Nürnberg 2003, 35) Oder anders ausgedrückt: Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr RentnerInnen ernähren. Deshalb sollen die Renten durch einen demografischen Faktor jeweils dann weniger steigen bzw. gesenkt werden, wenn sich dieses Verhältnis weiter zuungunsten der Erwerbstätigen verändert.

Nur: es ist nicht eine demografische Entwicklung, sondern das Kapital, das junge Leute mehr als je zuvor daran hindert, im Erwerbsleben nachzurücken. 30% aller Jugendlichen unter 25 Jahren haben nur eine befristete Stelle, viele Jugendliche sind arbeitslos oder drehen Warteschleifen. Das Kapital braucht mit steigender Produktivität weniger junge Leute, die nachrücken.

Und es ist ebenfalls das Kapital, das die Zahl der vollzeitbeschäftigten LohnarbeiterInnen mit steigender Produktivität vermindert und damit auch dafür sorgt, dass immer mehr RentnerInnen auf eine relativ dazu sinkende Zahl von Beschäftigten entfallen. 

Das Problem besteht nicht darin, dass Arbeitskräfte aus purem Egoismus kinderlos bleiben und so dem Kapital den sehnsüchtig erwarteten Nachwuchs entziehen. Das Problem besteht darin, dass das Kapital immer weniger Menschen im Erwerbsfähigen Alter nicht mehr braucht. Und gleichzeitig das Lohnniveau drückt und die durchschnittliche Beschäftigungszeit verringert.

 

Andererseits aber ist die Produktivität der noch beschäftigten LohnarbeiterInnen erheblich gestiegen. Immer weniger Beitragszahler können deshalb auch immer mehr RentnerInnen ernähren, so wie immer weniger Landwirte immer mehr Menschen ernähren oder immer weniger IndustriearbeiterInnen die notwendigen Produkte für immer mehr Menschen erzeugen können.

Auslöser der Krise der Rentenversicherung war nicht die Geburtenentwicklung, sondern vor allem die Wirtschaftskrise 1993. Die Krise der Rentenversicherung ist vor allem eine Krise der Arbeiterrentenversicherung. (vgl. Rainer Roth, Nebensache Mensch, Ffm 2003, 432-439)

 

Die Einnahmen aus den Sozialversicherungsbeiträgen zur Arbeiterrentenversicherung sind in Deutschland von 1991 bis 2000 um nicht einmal 18 Mrd. DM gestiegen. Die Ausgaben für die Arbeiterrenten aber im selben Zeitraum um 81 Mrd. DM.

Ursache: Die Industrie hat in Gesamtdeutschland in diesem Zeitraum zwei Millionen ArbeiterInnen abgebaut bzw. ein Drittel aller ArbeiterInnen. (Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2001/2002, Stuttgart 2001, 427) Die Zahl der Pflichtversicherten sank ebenfalls um zwei Millionen. Gleichzeitig stieg aber der Rentenbestand in der Arbeiterrentenversicherung um über 2 Millionen Personen. (Rentenversicherung in Zeitreihen, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Frankfurt Juli 2002, 142)

 

Arbeitslosigkeit ist heute für etwa 20% der Arbeitslosen, eben die Älteren, eine Art Vorruhestand und die Rente ist andererseits für viele weitere ArbeiterInnen eine Form der versteckten Arbeitslosigkeit.

 

Der Bund ist der Puffer, der die von der Kapitalverwertung verursachte Krise der Sozialversicherung abfedert. 1991 schoss der Bund 34 Mrd. DM der Arbeiterrentenversicherung zu und zahlte durchschnittlich ein Viertel einer Arbeiterrente.

Im Jahre 2000 waren es schon sagenhafte 83 Mrd. DM oder fast 40% einer Arbeiterrente. (Bundesministerium für Arbeit, Materialband Sozialbudget 2001, Bonn 2002, 59 und 71)

Die Krise der Arbeiterrentenversicherung brach in den neunziger Jahren aus, obwohl die Lebenserwartung männlicher Arbeiter sank und die Versicherungszeiten der ArbeiterrentnerInnen sogar gestiegen sind. Auch die Frühverrentungen haben nicht dazu geführt, dass das durchschnittliche Eintrittsalter in die Rente in den neunziger Jahren bei ArbeiterInnen gefallen wäre.

 

Also die Krise der Rentenversicherung, die die Krise der Staatsfinanzen beschleunigt, ist durch das Kapital verursacht, das die steigende Produktivität dazu nutzt, um immer mehr Menschen überflüssig zu machen.

Folglich muss die Krise auch auf seine Kosten gelöst werden. Wir brauchen eine einheitliche Rentenversicherung für alle. Sollten mit steigender Produktivität Zuschüsse notwendig sein, müssen sie aus Unternehmensabgaben finanziert werden.

 

b) Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden, damit endlich wieder investiert werden kann

"Wir müssen jetzt die Lohnnebenkosten senken, damit in unserer Volkswirtschaft wieder mehr in Beschäftigung investiert wird. Das ist die zentrale Herausforderung." So Chefvolkswirt Joschka Fischer für die Bundesregierung. (FR 07.05.2003, 2)

Das ist einfach Volksverdummung durch den beliebtesten Politiker Deutschlands. Denn die Arbeitslosigkeit nimmt ja langfristig deshalb zu, weil investiert wird und dadurch die Produktivität steigt. Und sie nimmt vor allem in der Krise zu, weil zu viel investiert worden ist und Investitionen vernichtet werden müssen. Die Arbeitslosigkeit ist ein Produkt von Investitionen in Höhe von Hunderten und Tausenden Milliarden Euro.

 

c) Gewinnsteuern müssen gesenkt werden, damit wieder mehr investiert wird

"Das beste Investitionsförderprogramm sind Steuersenkungen auf breiter Basis." (Hundt PI 14.03.2003, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA)

Die Steuern sind 2001 in nie gekannter Weise gesenkt worden und unmittelbar darauf brach eine Krise aus, in der die Investitionen drastisch heruntergefahren wurden. Trotzdem werden diese Sprüche nicht zurückgenommen.

Was wurde mit den 20-30 Milliarden Euro gemacht, die der Staat den Kapitalgesellschaften und Unternehmen zur Verfügung gestellt hat? Hier gibt es kein Controlling, keine Evaluation. Von den Arbeitslosen fordert das Kapital: Keine Leistung oder Gegenleistung. Für sich selbst setzt es durch: Leistungen ohne jede Gegenleistung. Keine Evaluation, kein Controlling, kein Qualitätsmanagment usw..

Denn die Kapitalvermehrung ist sich selbst Zweck genug. Sie ist Selbstzweck. Das Ziel ist erreicht, wenn die Profite um 20-30 Mrd. Euro steigen. Folglich war die Steuerreform erfolgreich. Basta.

Seit 2-3 Jahrzehnten ist das Kapital von einer starken Investitionsmüdigkeit ergriffen, die durch den Fall der Profitraten verursacht ist.

* Da sich bei sinkenden Profitraten Investitionen weniger lohnen, sinkt die Investitionsquote.

* Um dem Fall der Profitraten entgegenzuwirken, gibt es eine starke Tendenz, die Investitionen zurückzufahren und das schon investierte Kapital besser auszunutzen (Maschinenlaufzeiten und Betriebszeiten verlängern usw.). Das insgesamt investierte Kapital auf das die Profite bezogen werden müssen, vermindert sich dadurch.

* Wenn es - besonders in Krisen - riesige Überkapazitäten gibt, sinkt allein deshalb schon der Investitionsbedarf.

Die Kapitalverwertung selbst ist der Bremser der Investitionen, nicht die Besitzstandsmentalität der Lohnabhängigen, die an Renten oder anderen Sozialleistungen festhalten wollen.

 

d) Es ist kein Geld da

Geld zum Investieren wäre übrigens im Überfluss da. Man muss es gar nicht bei den RentnerInnen, den Kranken und Arbeitslosen zusammenraffen. Die steigende Produktivität erzeugt nämlich nicht nur einen Überschuss von immer mehr Arbeitskräften, sondern auch einen gewaltigen überschuss von Kapital, den ich als Massenarbeitslosigkeit des Kapitals bezeichnen würde.

 

Das überschüssige Kapital hat sich in den 90er Jahren sprunghaft vermehrt. Das gesamte Geldvermögen hat von 6.700 Mrd. Euro im Jahre 1991 auf 16.600 Mrd. Euro im Jahr 2001 vermehrt. (Zum Vergleich: das Bruttoinlandsprodukt eines Jahres beträgt rd. 2.100 Mrd. Euro). Allein das überschüssige Kapital, das in Aktien floss, in Kredite an Staat, Unternehmen und Privatleute und in Investmentsfonds wuchs von 1991 bis 2000 um rd. 6.500 Mrd. Euro auf weit über 10.000 Mrd. Euro. (Deutsche Bundesbank, Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung für Deutschland 1991 bis 2001, Statistische Sonderveröffentlichungen 4, September 2002)

Der Umfang des Finanzkapitals explodierte, aber die Investitionen in Industrie, Handel und Verkehr sanken.

Kredite und Aktien dienten dazu, die Besitzverhältnisse zu verändern. Sie förderten die Bildung riesiger Monopole, die mit noch weniger Menschen noch höhere Stückzahlen produzieren und noch mehr Arbeitskräfte überflüssig machen können. Kredite und Aktienboom erhöhten die zahlungsfähige Nachfrage von Staat, Unternehmen und Konsumenten und machten damit ein Wachstum möglich, das andernfalls gar nicht drin gewesen wäre. Das Wachstum in Deutschland ist genauso kreditfinanziert wie das in den USA.

Aber Kredite sind kein Mittel, Krisen zu lösen, sondern verschärfen sie letztlich.

Sie treiben die Produktion noch mehr über die zahlungsfähige Nachfrage hinaus, als sowieso schon und verschärfen damit Krisen.

Und: sie müssen leider auch zurückgezahlt werden. Wenn aber die Überproduktionskrise ausbricht, hängen sie wie Mühlsteine am Hals der Unternehmen und des Staates und ziehen sie noch tiefer herunter bzw. ruinieren sie. Das erschüttert auch das Finanzsystem als Ganzes. Die "Wertberichtigungen", die Banken auf faule Kredite vornehmen mussten, also die Kredite, die sie abschreiben mussten, erhöhten sich 2002 auf 32 Mrd. Eur oder auf vier Fünftel des Betriebsergebnisses. (Börsen-Zeitung 20.09.2003)

Der in versteinertem Kapital verkörperte Reichtum dieser Gesellschaft, den die Millionen LohnarbeiterInnen erarbeitet haben, führt ein Eigenleben. Er wird zu einer zusätzlichen Bedrohung, obwohl aus ihm mühelos die Renten finanziert, die Arbeitslosen gut ernährt und die Staatsausgaben bestritten werden könnten usw..

Problem ist nur: ein Kapitalismus, der sein überschüssiges Kapital für die lebensnotwendigen Bedürfnisse der LohnarbeiterInnen ausgibt statt für die Vermehrung des Kapitals, wäre kein Kapitalismus mehr.

Aber: die LohnarbeiterInnen müssten, ohne falsche Rücksichtnahme, genau dieses Ziel anstreben. Sie müssten in erster Linie an sich denken und nicht daran, das Kapital zu fördern, das immer weniger imstande ist, die produktiven Kräfte der Menschen zu nutzen.

 

Die Probleme der Staatsfinanzen und der Sozialversicherung können nur in dem Maße gemildert werden, in dem es gelingt, einen bedeutend größeren Teil des Mehrwerts über Steuern und Unternehmensabgaben gesellschaftlich anzueignen.

Die Gewinnsteuersenkungen der Steuerreform müssen rückgängig gemacht werden. Die Vermögenssteuer muss wieder eingeführt werden und die Defizite der Sozialversicherungen müssen vom Kapital bezahlt werden, das sie letztlich verursacht. Das Kapital soll für die Folgen seines Handels aufkommen so wie diejenigen, die einen Unfall verursachen, für die von ihnen verursachten Schäden aufkommen müssen.

 

Es kann nicht unser Interesse sein, mit sogenannten Bündnissen für Arbeit Lohnsenkungen zu befürworten bzw. für die Senkung der Lohnnebenkosten zu kämpfen, wie es die DGB-Führung tut. Sie will die Profite und damit das Kapital stärken, obwohl die Kapitalverwertung die Ursache der Probleme ist, nicht die Lösung.

 

e) Die Faulheit der Arbeitslosen verursacht ihre Arbeitslosigkeit

Schon zu Beginn der Wirtschaftskrise 2001 wetterte Schröder, dass die Arbeitslosen kein Recht auf Faulheit hätten. Er kommentierte damit die Tatsache, dass damals auf 7 Arbeitslose eine offene Stelle kam. In der Regierungserklärung vom 14.03.2003 drohte er dann:" Wir setzen damit (mit der Agenda 2010) ein deutliches Signal für diejenigen Menschen in unserer Gesellschaft, die länger als zwölf Monate arbeitslos sind. Niemand ... wird es künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen."

Inzwischen kamen elf Arbeitslose auf eine offene Stelle. Ursache war in den Augen des Kanzlers, das die Bundesregierung es ihnen bisher ermöglicht hatte, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Damit soll jetzt endlich Schluss sein.

Schröder und Joschka Fischer konzentrieren sich auf die Langzeitarbeitslosen, um die steigende Arbeitslosigkeit zu "bekämpfen". Wer aber sind die Langzeitarbeitslosen? Sie sind zu 60% ältere Arbeitskräfte, die über 45 Jahre alt. Sie sind zum guten Teil schwerbehindert oder gesundheitlich angeschlagen.

Da die Nachfrage des Kapitals nach Arbeitskraft mit steigender Produktivität gesunken ist, musste auch die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit zunehmen. Inzwischen sind mehr als die Hälfte der Arbeitslosen über ein Jahr arbeitslos. 1971 waren es erst 5%.

 

Wenn die Nachfrage nach Arbeitskraft aufgrund steigender Produktivität sinkt, sind es zuerst die Minderleister oder "Schwach-Performer", wie sie der Infineon-Chef Schumacher nannte, die weg sind, wie sich Oli Kahn ausdrückte. Hauptsächlich sie sammeln sich im Auffangbecken der Langzeitarbeitslosigkeit, also dem wichtigsten Klientel der Sozialarbeit.

Und ausgerechnet an ihnen, den sogenannten Problemgruppen des Arbeitsmarkts, kühlt die tatkräftige SPD-Grünen-Regierung mit der Agenda 2010 ihr Mütchen.

Aber ist nicht eher das Kapital eine Problemgruppe, das die Erfahrung des Alters dem Profit opfert, das Menschen auspresst und dann wegwirft, das mit weniger Leistungsfähigen kaum noch etwas anfangen kann? Liegt das Problem nicht eher darin, dass die steigende Produktivität nicht dazu genutzt wird, die Arbeitszeit zu verkürzen, sondern dazu, nicht nur die Jahresarbeitszeit, sondern auch noch die Lebensarbeitszeit zu verlängern?

 

SPD und Grüne machen Stimmung gegen ältere Arbeitskräfe. Warum? Weil sie zu viel kosten. Sie kürzen ihnen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, sie wollen (einschließlich ihrer sogenannten Rebellen, die sich als links bezeichnen) die Arbeitslosenhilfe abschaffen und sie unter das Niveau der Sozialhilfe senken. Sie wollen Hunderttausende Arbeitslose in Sozialhilfeempfänger verwandeln. Das alles soll angeblich die "Fehlanreize" beseitigen, die die Arbeitslosen dazu bewegen, nicht arbeiten zu wollen.

In Wirklichkeit will die Bundesregierung auf Wunsch der Arbeitgeberverbände die Kosten senken, die die Freigesetzten verursachen. Man will auf diese Weise die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken.

Die Haushaltslöcher, die durch Steuersenkungen für das Kapital gerissen wurden und werden, sollen durch Kürzungen bei den Ausgaben für Arbeitslose und andere Minderleister wieder gestopft werden. Ob in Wiesbaden oder in Berlin.

Vor allem aber geht es darum, das Lohnniveau zu drücken. Denn je geringer die Unterstützungen sind und je stärker der Zwang wird, Arbeiten für Nettolöhne in Höhe der Unterstützungen als zumutbar anzunehmen, desto eher werden die Tariflöhne zum Einsturz gebracht. Der geplante Zwang, dass alle diejenigen, die keine Stelle finden, sogenannte gemeinnützige kommunalen Arbeiten für Sozialhilfe plus ein Euro die Stunde zu machen haben, führt dazu, dass tariflich bezahlte kommunale Beschäftigte verdrängt werden.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die verschärften Zumutbarkeiten sind ein massiver Angriff auf das Lohnniveau, auf das Tarifsystem und auf die DGB-Gewerkschaften.

 

Vor der Wahl erklärte die SPD in ihrem Regierungsprogramm 2002-2006: "Wir bekennen uns zu unserer besonderen Verantwortung gegenüber den Schwächeren in dieser Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau."

Diese besondere Verantwortung hatten und haben sie nicht. Sie spüren nur eine besondere Verantwortung gegenüber den Profiten des Kapitals, bei allem Gerede von sozial ausgewogenen oder sogar sozial gerechten Kürzungen.

Die LohnarbeiterInnen, ob arbeitslos oder beschäftigt, müssen die Verantwortung für sich schon selbst übernehmen. Sie dürfen sie nicht dem Kapital und seinen Parteien überlassen.

Die DGB-Führung hat sich prinzipiell mit der Agenda 2010 einverstanden erklärt, wie schon vorher mit der Hartz-Reform, mit den massiven Gewinnsteuersenkungen der Steuerreform oder der Schwächung der Sozialversicherung durch die Einführung von kapitalgedeckten Renten.

Die LohnarbeiterInnen müssen lernen, selbständig zu denken, selbständig zu handeln und sich selbständig innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften zu organisieren, wenn sie nicht untergehen wollen.

Eine Gelegenheit, das unter Beweis zu stellen, ist die bundesweite Demonstration, die am 1.11. in Berlin stattfinden wird.

 

Dass die Verursacher von Arbeitslosigkeit und Krisen die Rechnung dafür bezahlen sollen, ist der Standpunkt des Kapitals. Und er müsste auch unserer sein.

Nur: es sind nicht die Arbeitslosen oder die LohnarbeiterInnen insgesamt, die mit ihrer Anspruchsmentalität die Wirtschaftskrise, die Krise der Staatsfinanzen und die Krise der Sozialversicherung verursachen, sondern das Kapital selbst. Seine ökonomische Interessen, sich selbst - gemessen in Geld - immer mehr zu vermehren, rufen eine rücksichtslose Anspruchsmentalität und ein schrankenloses Besitzstandsdenken hervor, das sich auf Kosten der ganzen Gesellschaft verwirklicht.

 
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Stand:12. Dezember 2012